Gullivers Reisen
möglich, auseinander spreizte. Alsdann befahl er seinem General, welcher ein alter erfahrener Truppenführer und zugleich auch mein Beschützer war, die Truppen in geschlossenen Reihen aufzustellen, und alsdann unter meinen Beinen durchmarschiren zu lassen; die Infanterie in Reihen von vierundzwanzig Mann, die Kavallerie in Reihen von sechszehn, bei Trommelschall, fliegenden Fahnen und eingelegten Lanzen. Dies Corps bestand aus 3000 Mann Infanterie und 1000 Mann Kavallerie, Seine Majestät gab Befehl, jeder Soldat solle auf dem Marsch bei Todesstrafe den genauesten Anstand hinsichtlich meiner Person beachten. Dieses konnte jedoch einige junge Offiziere nicht abhalten, ihre Augen, als sie unter mir hermarschirten, aufzuschlagen. Um die Wahrheit zu gestehen, meine Beinkleider waren damals in so schlimmem Zustande, daß sie Gelegenheit zum Lachen und zum Erstaunen bieten mußten.
Ich hatte so viele Vorstellungen und Bittschriften über die Wiedererlangung meiner Freiheit eingesandt, daß Seine Majestät die Sache zuerst in Seinem Kabinet und dann in dem versammelten Staatsrathe erwähnte. Dort fand durchaus kein Widerstand statt, nur von
Skyresh Bolgolam
, der mein Todtfeind zu seyn beliebte, ohne daß ich die geringste Veranlassung dazu gegeben hatte. Allein der ganze Staatsrath stimmte gegen ihn und der Kaiser gab die Bestätigung. Dieser Minister war Galbet oder Admiral des Reichs; er besaß das Zutrauen seines Herrn im hohen Grade und war auch sehr gewandt in den Staatsgeschäften, allein von mürrischem und saurem Gemüth. Zuletzt ward er aber dennoch überredet nachzugeben; es wurde jedoch nur durchgesetzt, daß er die Artikel und Bedingungen, unter denen ich meine Freiheit erhalten sollte, aufsetzen müsse.
Der
Skyresh Bolgolam
brachte mir die Artikel in Person; er war von seinen Untersekretären begleitet. Nachdem jene mir vorgelesen waren, wurde mir ein Eid über die Befolgung desselben abverlangt; zuerst nach der Sitte meines Vaterlandes und nachher in der Methode, die von ihren Gesetzen vorgeschrieben war, welche darin bestand, daß ich meinen rechten Fuß mit der linken Hand packen, und den Mittelfinger der rechten Hand über die Stirne und den Daumen an das rechte Ohr legen mußte. Vielleicht aber ist der Leser neugierig, von dem besondern Styl und der Ausdrucksweise dieses Volkes einen Begriff zu erlangen, und zugleich auch die Artikel kennen zu lernen, nach denen ich meine Freiheit erlangte. Deßhalb habe ich die ganze Urkunde, Wort für Wort, so weit es mir möglich war, abgeschrieben, und nehme mir die Freiheit, sie dem Publikum darzubieten.
Golbasto Momaren Eulamé Gurdilo Shefin Mully Ully Gué der allergroßmächtigste Kaiser von Lilliput, Entzücken und Freude der Welt, dessen Reich sich 5000 Blustrugs weit hin ausdehnt (im Ganzen ungefähr sechs Stunden), bis an den Rand des Erdreichs; Monarch aller Monarchen, größer an Wuchs als die Söhne der Menschen; dessen Füße den Mittelpunkt der Erde drücken, und dessen Haupt sich bis zur Sonne erhebt; auf dessen Wink die Fürsten der Erde mit den Knieen zittern; süß wie der Frühling, voll Behaglichkeit wie der Sommer, fruchtbar wie der Herbst, furchtbar wie der Winter. Seine hocherhabene Majestät macht dem in unsern himmlischen Provinzen kürzlich angelangten Bergmenschen folgende Vorschläge, deren Artikel er mit feierlichem Eide beschwören muß.
I. Der Bergmensch soll unser Reich nicht ohne besondere, mit unserem Reichssiegel versehene Erlaubniß verlassen dürfen.
II. Er soll ohne besonderen Befehl unsere Hauptstadt nicht zu betreten wagen; alsdann soll den Einwohnern zwei Stunden vorher eine Warnung verkündet werden, damit sie ihre Häuser nicht verlassen.
III. Der besagte Bergmensch soll seine Spaziergänge auf unsere hauptsächlichsten Heerstraßen beschränken und auf Wiesen oder Kornfeldern sich weder niederlegen, noch auf denselben umherwandeln.
IV. Wenn er auf besagten Heerstraßen spazieren geht, soll er mit der äußersten Sorgfalt sich in Acht nehmen, nicht auf die Leiber unserer geliebten Unterthanen, ihre Pferde oder Wagen zu treten; er soll auch keinen unserer Unterthanen ohne besondere Erlaubniß auf die Hand nehmen.
V. Wenn die ausserordentliche Abfertigung eines Couriers erforderlich ist, so soll der Bergmensch den Courier, sowie dessen Pferd, sechs Tagereisen in seiner Tasche tragen und zwar einmal monatlich; ferner soll er den besagten Courier, im Fall dies erforderlich ist, in unsere kaiserliche Gegenwart
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