Gullivers Reisen
wohlbehalten zurückbringen.
VI. Er soll unser Verbündeter gegen unsern Feind auf der Insel Bleifusen seyn, und Alles aufwenden, die Flotte derselben zu zerstören, welche jetzt einen Angriff auf unsere Besitzungen vorbereiten.
VII. Besagter Bergmensch soll nach Zeit und Muße unsere Arbeiter unterstützen, gewisse große Steine aufzuheben, welche auf die Mauer unseres Parks und andere königliche Gebäude verwendet werden sollen.
VIII. Besagter Bergmensch soll in der Zeit von zwei Monaten eine genaue Uebersicht des Umfangs unserer Königreiche einliefern, indem er seine Schritte im Umkreise der Küste berechnet.
IX. und letztens. Der besagte Bergmensch, nachdem er die Beobachtung dieser Artikel feierlichst beschworen hat, soll eine tägliche Ration von Speise und Trank, welche zur Ernährung von 1824 unserer Unterthanen genügend ist, so wie freien Zutritt zu unserer Person und andere Beweise unserer Gunst erhalten. Gegeben in unserem Palast im Belsuborac am zwölften Tage des einundneunzigsten Monats unserer Regierung.
Ich beschwor und unterzeichnete alle diese Artikel mit großer Freude und Zufriedenheit, obgleich einige derselben nicht so ehrenvoll waren, wie ich hätte wünschen können; dies war aber ausschließlich durch die Bosheit des Großadmirals Skyresh Bolgolam bewirkt. Meine Ketten wurden mir sogleich abgenommen und ich erhielt die vollkommenste Freiheit. Der Kaiser selbst erwies mir die Ehre, bei der Ceremonie gegenwärtig zu seyn. Ich gab ihm meine Dankbarkeit dadurch zu erkennen, daß ich mich ihm zu Füßen warf, allein er befahl mir aufzustehen, und fügte nach manchem gnädigen Ausdruck, den ich, aus Furcht eitel zu erscheinen, hier nicht wiederholen will, noch ferner hinzu: er hoffe, ich würde mich als ein nützlicher Diener erweisen und alle die Gunstbezeugungen verdienen, die er mir schon übertragen habe, oder in Zukunft noch erweisen werde.
Der Leser habe die Güte zu bemerken, daß der Kaiser in dem letzten Artikel der Urkunde, nach welcher ich meine Freiheit erlangte, mir so viel Speise und Trank bewilligt, als für 1824 Lilliputer genügen würde. Einige Zeit nachher fragte ich einen meiner Freunde bei Hofe, wie man gerade auf diese bestimmte Zahl gekommen sey, und erhielt zur Antwort: die Mathematiker hätten die Größe meines Körpers mit einem Quadranten aufgenommen und da sie nun berechneten, daß dieselbe die ihrige im Verhältnis von 12 zu 1 übertraf, zogen sie aus der Aehnlichkeit ihrer Körper den Schluß, daß der meinige wenigstens 1824 der ihrigen enthalten müsse und deßhalb eben so viel Nahrung erfordere, als jene Zahl Lilliputer. Hiedurch kann sich der Leser einen Begriff von der Klugheit dieses Volkes und von der verständigen und genauen Oekonomie eines so großen Fürsten verschaffen.
Viertes Kapitel.
Mildendo, die Hauptstadt von Lilliput, wird zugleich mit dem Palast des Kaisers beschrieben. Eine Unterhaltung des Verfassers mit dem Staatssekretär über die Angelegenheiten des Reichs. Des Verfassers Anerbieten, dem Kaiser in seinen Kriegen zu dienen.
Losgegeben, wünschte ich sogleich die Hauptstadt in Augenschein zu nehmen und reichte eine Bittschrift ein, Mildendo besehen zu dürfen. Der Kaiser gewährte mir mein Gesuch ohne weitere Umstände, jedoch mit dem besonderen Auftrage, weder den Einwohnern noch den Häusern Schaden zuzufügen. Das Volk wurde durch eine Proklamation von meiner Absicht, die Stadt zu besuchen, benachrichtigt. Die Mauer, welche sie umringt, ist 2½, Fuß hoch und wenigstens 11 Zoll breit, so daß eine Kutsche mit Pferden sehr bequem darauf fahren kann; in der Entfernung von 10 Fuß sind überall starke Thürme angebracht.Ich schritt über das große Thor hinweg und ging durch zwei der Hauptstraßen nur seitwärts sehr leise und langsam allein mit meinem Wamms bekleidet, denn ich befürchtete die Dächer und Traufen der Häuser mit den Schößen meines Ueberrocks zu beschädigen. Ich beobachtete die größte Vorsicht, um einige Nachzügler, die vielleicht noch in den Straßen seyn könnten, nicht zu zertreten, obgleich der Befehl sehr streng war, alle Leute sollten auf ihre eigene Gefahr nicht wagen auszugehen. Die Dachfenster und Giebel der Häuser waren so sehr mit Zuschauern angefüllt, daß ich bei mir dachte, niemals auf meinen Reisen einen so bevölkerten Ort gesehen zu haben. Die Stadt ist ein vollkommenes Viereck, und jede Seite der Mauer fünfhundert Fuß lang. Die zwei großen Straßen, welche sie durchkreuzen und in
Weitere Kostenlose Bücher