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Gullivers Reisen

Gullivers Reisen

Titel: Gullivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Swift
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auch erscheinen mag, so leiden wir an zwei großen Uebeln, an einer heftigen Parteiung im Innern, und an der Gefahr eines äußern Angriffs von Seiten eines mächtigen Feindes. Was die erste betrifft, so müssen Sie wissen, daß seit ungefähr siebenzig Monaten zwei Parteien, Tramecksan und Slamecksan, von den hohen Absätzen ihrer Schuhe so benannt, mit einander in Streit liegen.
    Diese Absätze sind nämlich unsere Abzeichen, und man glaubt, daß hohe Absätze sich am besten für unsere alte Constitution eignen. Seine Majestät hat jedoch beschlossen, in der Verwaltung und Regierung allein die niederen Absätze zu benutzen, und ihnen alle Aemter zu ertheilen, worüber die Krone zu verfügen hat. Dieses werden Sie bald bemerken, so wie auch daß die Hacken Seiner kaiserlichen Majestät wenigstens um einen Drurr niedriger sind, wie die seines Hofes. (Drurr ist nämlich der vierzehnte Theil eines Zolles.)
    Die Erbitterung zwischen beiden Parteien ist so groß, daß sie weder mit einander essen, noch trinken, noch auch reden. Wir glauben, daß die Tramecksan, oder hohen Absätze uns an Zahl übertreffen, allein die Staatsgewalt liegt dennoch in unserer Hand. Wir besorgen jedoch, Seine kaiserliche Hoheit, der Thronerbe, habe einige Neigung zu den hohen Absätzen. Wenigstens können wir bemerken, daß einer seiner Absätze höher ist wie ein anderer, wodurch Höchstdieselbe im Gange hinkt.
    Mitten unter diesen inneren Unruhen werden wir mit einer Invasion von der Insel Blefuscu bedroht, welche das zweite große Reich der Welt, beinahe eben so groß und mächtig, wie das Seiner Majestät, ist. Denn was Ihre Bemerkung betrifft, es gebe in der Welt noch andere Königreich und Staaten, welche von menschlichen Geschöpfen Ihrer Größe bewohnt werden, so sind unsere Philosophen darüber im Zweifel, und wollen vielmehr die Behauptung aufstellen, Sie seyen von dem Monde oder von einem Sterne herabgefallen. Denn es ist gewiß, daß hundert Sterbliche von ihrer Größe alle Früchte und Vieh im Gebiete Seiner Majestät zerstören müßten. Außerdem erwähnt unsere Geschichte von sechstausend Monaten keine andere Weltgegend als Lilliput und Blefuscu. Diese beiden großen Mächte führen, wie ich Ihnen berichten will, seit sechsunddreißig Monaten den heftigsten Krieg mit einander. Letzterer begann auf folgende Weise: Ueberall wird zugestanden, daß die ursprüngliche Weise, Eier zu öffnen, darin besteht, daß man das breitere Ende der Schale zerbricht oder abschneidet. Allein der Großvater Seiner gegenwärtigen Majestät schnitt sich, da er als Knabe einst ein Ei essen wollte, bei dieser Gelegenheit in den Finger. Darauf publicirte der Vater ein Edikt, welches allen Unterthanen bei schwerer Strafe verbot, das breitere Ende des Eies zu eröffnen. Das Volk gerieth über dieses Gesetz in solche Wuth, daß sechs Rebellionen bei der Gelegenheit entstanden. Ein Kaiser verlor darin sein Leben, ein andrerer seine Krone. Diese bürgerlichen Zwiste wurden fortwährend durch die Könige von Blefuscu befördert; und wenn sie unterdrückt wurden, flüchteten die Verbannten gewöhnlich in dies Reich. Man berechnet, daß an elftausend Personen zu verschiedenen Zeiten den Tod lieber erleiden, als die Eier an den kleinen Enden öffnen wollten. Viele Hunderte von dicken Bänden sind über diesen Streit geschrieben worden, allein die Bücher der Breitendigen sind schon lange verboten und ein Gesetz hat die ganze Partei für unfähig erklärt, fernerhin öffentliche Aemter zu verwalten.

    Während dieser Unruhen machten uns die Kaiser von Blefuscu häufige Vorstellungen durch ihre Gesandten und zugleich den Vorwurf, eine Spaltung in der Religion zu bewirken, da wir gegen die Grundlehren unseres großen Propheten Lustrogg im fünfundvierzigsten Kapitel des Blundecral (dieses ist der Koran von Lilliput) uns vergehen. Dies scheint jedoch eine bloße Verdrehung des Textes zu seyn, denn die Worte lauten: Alle wahren Gläubigen öffnen die Eier an dem passenden Ende. Was nun das passende Ende ist, muß nach meiner demüthigen Meinung dem Gewissen eines Jeden überlassen bleiben, oder die erste Magistratsperson besitzt das Recht, es zu bestimmen. Jetzt aber haben die verbannten Breitendigen so viel Einfluß beim Hofe des Kaisers von Blefuscu und so viel Unterstützung und Ermuthigung für ihre Partei hier in unserem Vaterlande erlangt, daß ein blutiger Krieg zwischen beiden Reichen schon sechsunddreißig Monate lang geführt worden ist, und zwar mit

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