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Gun Machine

Gun Machine

Titel: Gun Machine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warren Ellis
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heute als ›Rothäute‹ gelten. «
    Mit Geschichte kannte Tallow sich aus. Zwar nicht bis in älteste Zeiten, aber mit der Vergangenheit seiner Stadt auf jeden Fall. Er wusste, dass es hier früher überall Minen gegeben hatte. Auch Staten Island war entgegen anderslautender Behauptungen keine riesige Müllkippe; die Niederländer hatten dort schon früh Stollen gegraben. Seine Gedanken sprangen im Quadrat und krallten sich fest, wo sie konnten.
    » Und sonst? « , fragte er.
    » Blauer Lehm. Zerdrückte Muschelschalen als Weiß. Sie haben lauter Zeug in der Sonne getrocknet oder verbrannt, um die richtigen Farben zu gewinnen. Holzkohle natürlich. Harz, Beeren. Warum? « Sie öffnete die Augen und sah ihn an.
    » Nur um mich ein bisschen mit Ihnen zu unterhalten. Schließlich hatten Sie einen Schock. Wo ist eigentlich Ihr Hund? «
    » Tagsüber habe ich eine Hundeausführerin. Sie ist mit dem Hund rausgegangen, ich bin Mittagessen gefahren. Abends geht mein Mann mit dem Hund Gassi. «
    Emily schien in einen Zustand abzudriften, den Tallow nicht unbedingt als » Apathie « , aber doch als Distanziertheit und Gleichgültigkeit bezeichnet hätte. Ihre Stimme drang tief aus ihrem Inneren, aus einem öden Ort, sehr weit entfernt vom Hier und Jetzt. In den seltenen Momenten, in denen Tallow sich in den letzten Jahren seiner selbst bewusst geworden war, war seine Stimme aus einem ganz ähnlichen Ort in seinem Inneren herübergeklungen.
    Doch die letzten zwei Tage hatten ihn zurück in die Welt gezerrt. Noch vor zwei Tagen hätte er sich als Zivilist ausgegeben und die kreischende Emily links liegen gelassen, um mit seinem Mittagessen in den Wagen steigen zu können. Vor den letzten zwei Tagen hatte er alles anders gemacht. Sprich: Er hatte so wenig wie möglich gemacht. Die Fälle hatten sich von selbst erledigt, ohne sein Zutun.
    Jetzt war er zurück in der Welt. Sein Hirn arbeitete auf Hochtouren, er setzte sich mit anderen Menschen auseinander. Und nur deshalb, begriff er, fügten sich die verstreuten Bruchstücke dieses grässlichen und vielleicht letzten Falls seiner Karriere allmählich zueinander. In seinem Magen breitete sich eine kalte Leere aus. Je weiter er dachte, desto eisiger und mulmiger war ihm zumute.
    » Also « , sagte Tallow leise, » wer war der Mann? «
    » Was? « , fragte Emily. Sie schwebte immer noch in weiter Ferne, doch nun wurde die Aussicht an ihrem Rückzugsort von Angst getrübt.
    » Der Obdachlose, der Sie so erschreckt hat. Für wen haben Sie ihn gehalten? «
    » Für niemanden « , flüsterte sie mit ängstlicher Stimme und wand das Gesicht ab.
    Tallow lenkte in den Aer Keep. Das Haupttor war ein Beton-Checkpoint, der wie ein Relikt aus dem Kalten Krieg wirkte. Als er seine Marke vorzeigte, fiel ihm auf, dass die Sicherheitsfrau dasselbe Spearpoint-Abzeichen trug wie die Drohnen bei Vivicy.
    Die Frau beugte sich vor und spähte in den Wagen. » Mrs. Westover? Ist alles in Ordnung? «
    » Mir geht’s gut, Hannah. Mir ist nur schlecht geworden, und da hat mir der nette Polizist angeboten, mich nach Hause zu fahren. Ist mein Mann schon da? «
    » Ja, Ma’am. Brauchen Sie irgendetwas? Soll ich Ihnen den Arzt aufs Apartment schicken? «
    » Wirklich, Hannah, mir geht’s gut. Wahrscheinlich hab ich nicht genug gegessen oder so. Aber trotzdem danke. «
    Das Lächeln der Frau war eindeutig– sie fragte sich, ob sie sich hinreichend bemüht hatte, weil sich später irgendjemand, der ihre Tätigkeit kontrollierte, ganz sicher danach erkundigen würde.
    Endlich hob sich das Tor, um sie in die Festung einzulassen. » Von hier aus fährt man in die Parkgarage « , meinte Emily.
    Tallow steuerte den Wagen bis zum Schlund der Garage, wo die Fahrbahn in die Tiefen der Festung abfiel, und hielt an. Er zerrte den Geldbeutel hervor und suchte sich eine Visitenkarte, fischte den Kuli aus dem Notizbuch in der Innentasche und kritzelte seine Handynummer auf die Karte. » Hier « , sagte er und drückte Emily die Karte in die Hand. » Mit der Nummer erreichen Sie mich auf dem Handy. Auch in der Nacht. Ich schlafe sehr wenig. Wenn Sie mir jemals irgendetwas erzählen wollen oder wenn Ihnen jemals irgendwas Sorgen bereitet, wenn Sie mit irgendwas Hilfe brauchen, rufen Sie diese Nummer an. Das ist Ihr neuer Notruf. Alles klar? Selbst wenn Sie sich nur über Geschichte unterhalten wollen– diese Nummer. «
    » Alles klar « , meinte Emily und schob die Karte in eines der eigenartigen

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