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Gurkensaat

Gurkensaat

Titel: Gurkensaat
Autoren: F Steinhauer
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des Gesprächs das Aufzeichnungsgerät eingeschaltet hatte und nicht in diesem sensiblen Moment damit beginnen musste, den Zeugen darüber aufzuklären. Vielleicht bekäme er diese Aussage dann nie.
    Flocke schien dennoch erkannt zu haben, dass er einen Fehler gemacht hatte. Statt weiterzusprechen, leckte er über seine trockenen Lippen und zupfte an einzelnen, abstehenden Hautpartien. Er fuhr erneut mit der Zunge die Strecke entlang, wie um nach neuen Defekten zu fahnden. Als er endlich wieder sprach, war seine Stimme seltsam spröde. »Es ist meine Schuld. Wolfgang wollte es bei unserer letzten Sitzung allen verkünden. Dann wäre es öffentlich gewesen, die Geheimniskrämerei hätte ein Ende gehabt. Aber ich war zu feige!« Verzweifelt schlug der junge Mann beide Hände vors Gesicht.
    In Michael Wieners Denken formte sich langsam ein Verdacht. »Wolfgang hat sich also noch umstimmen lassen. Wodurch?«
    »Er hat sich nicht wirklich umstimmen lassen.« Flocke seufzte tief. »Auch das Argument, dass Jobs rar sind und meine Eltern mich mit ihrer kleinen Rente nicht unterstützen könnten, wenn ich gefeuert werde, überzeugte ihn nicht. Aber wie sollte ich den beiden erklären, ich hätte meine Arbeit verloren, weil ein anderer ein Geheimnis ausgeplaudert hat?« Er sah auf seine Hände, die sich auf der Tischplatte rhythmisch ineinanderkrampften, wieder lösten, erneut verkrampften. Sein Blick war tot.
    »Vielleicht wäre das für meine Eltern der Todesstoß gewesen. Sie sind so stolz auf mich, ihr einziges Kind«, hauchte er. »Meine Mutter rechnet mit einer Schar von Enkelchen. Schon bald.«
    »Das hat Wolfgang aber nicht eingesehen.«
    »Doch. Ein bisschen. Jedenfalls nicht genug, um meine Lage zu begreifen. Für ihn ging es nur um die Freiheit. Um Liebe ohne äußeren Zwang. Mein Job und meine Eltern waren ihm gleichgültig. Eine banale Nebensache!«
    »Aber Frau Maul hätte die Homosexualität ihres Sohns auch nur schwer verkraftet«, erinnerte Wiener den Zeugen. Flocke zuckte merklich zusammen. Daran hatte er wohl in seinem Ärger und seiner Verzweiflung gar nicht mehr gedacht.
    »Ja, das stimmt. Aber sie liebte ihn abgöttisch, es wäre für sie nach einer Phase der Gewöhnung okay gewesen. Sie ist nicht der Typ, der lange über verschüttete Milch lamentiert. Bei meinen Eltern ist das anders. Und er dachte auch, dass seine Mutter die Sache mit seiner Arbeit bei Gieselke irgendwie regeln würde, wie sie ja immer alles für ihn geregelt hat.«
    »Aha. Und was haben Sie getan, nachdem klar war, Sie würden Wolfgang nicht von seinem Plan abbringen können?«
    »Ich wollte ihn doch gar nicht abbringen!«, begehrte Flocke auf. »Darum ging es überhaupt nicht. Er sollte nur einsehen, dass er es noch aufschieben musste.«
    »Also?«, drängte Wiener.
    »Er verzichtete auf das Coming-out. Aber nur bis zum nächsten Treffen. Da sollte es endgültig so weit sein.« Sebastian Körbel geriet ins Stocken. Sein prägnanter Adamsapfel wippte aufgeregt rauf und runter, ein leichtes Zittern breitete sich über seinen gesamten Körper aus. Michael Wiener spürte ein deutliches Beben, als Flocke die Ellbogen auf den Tisch stützte.
    »Ich beschloss, die Sache noch einmal mit ihm zu besprechen. Während der Wolfswache. Ich brauchte etwa einen Monat Zeit. Meine Eltern sollten nicht so unvorbereitet mit der Angelegenheit konfrontiert werden und einen anderen Job wollte ich auch erst haben. Danach …« Er schluckte trocken. »Danach wäre ich einverstanden gewesen.«
    »Während der Wolfswache?« Elektrisiert beugte sich Wiener weit über den Tisch. Körbel schien durch ihn hindurch zu schauen. »Und?«, fragte der junge Ermittler eindringlich.
    »Ich fand ihn im Wald. Er war noch warm«, sagte er schnörkellos.
    Wiener hustete überrascht. »Sie sprachen von Ihrer Schuld«, erinnerte er den jungen Mann.
    »Ja. Meine Schuld. Alles nur meine Schuld. Ich wusste sofort, die Sache war aus dem Ruder gelaufen, als ich die abgeschlachteten Schafe sah. Ein unglaublich abstoßender, abscheulicher Anblick. Und nur wenige Schritte weiter fand ich Wolfi. Es war einfach nur fürchterlich!«
    »Ihre Schuld? Ich glaube, das müssen Sie mir erklären.«
    »Der Tee«, schluchzte Flocke plötzlich hemmungslos. »Wolfi trank immer heißen Tee bei Außeneinsätzen. Ich hatte ein schwaches Beruhigungsmittel reingetan, damit er sich nicht gleich wieder so aufregt, wenn ich mit ihm über das besagte Thema sprechen möchte. Der Mörder hatte leichtes
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