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Gurkensaat

Gurkensaat

Titel: Gurkensaat
Autoren: F Steinhauer
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ist anders! Wenn du öffentlich einräumst, dass du sexuell anders tickst, bist du raus aus dem Spiel. Selbst die meisten der Wolfsfreunde hätten ein Problem damit gehabt.« Flockes fahles Gesicht hatte sich gerötet und fahrige Bewegungen der Hände verrieten seine Erregung.
    »Manche Paare outen sich und empfinden das im Nachhinein als Wohltat. Sie behaupten, es nähme den Druck«, formulierte Wiener vorsichtig. Das war schließlich nicht gerade eines seiner Spezialgebiete.
    »Nimmt den Druck?« Sebastian Körbel sprang auf und der uniformierte Beamte tat es ihm gleich. Michael Wiener bedeutete dem Kollegen, Ruhe zu bewahren.
    »Herr Körbel, setzen Sie sich wieder.«
    Der junge Mann wirbelte hektisch um die eigene Achse und machte zwei schnelle Schritte in Richtung Tür. In seinen Augen funkelte die Gier nach Freiheit.
    »Herr Körbel, nehmen Sie wieder Platz. Es sind noch immer Fragen offen. Je schneller wir das hier hinter uns bringen, desto eher sind Sie wieder draußen.«
    Der junge Mann schwankte unschlüssig von einem Bein auf das andere. Kaute an seiner Unterlippe. Rotierte erneut links herum, diesmal allerdings deutlich langsamer. Verlagerte sein Gewicht mal auf die linke, mal auf die rechte Seite. Auf links fiel die Entscheidung. Sehr langsam drehte er sich zu Wiener um. Folgsam plumpste er auf den Stuhl zurück.
    Der Beamte blieb vorsichtshalber stehen. Körbels aggressives Schweigen war Michael Wiener unangenehm.
    »Es nimmt also nicht den Druck?«, fragte er, um die unbestimmte Bedrohung, die er empfand, abzuschütteln.
    »Sich zu outen, mag ja den Druck nehmen – wenn Sie in Berlin oder Köln wohnen, zum Beispiel!«, schleuderte er seinem Gegenüber zu. »Hier ist es eher schwierig. Immer noch, leider. Klar, es gab einen Christopher-Street-Day. Aber natürlich war der nicht mit dem riesen Rummel in Berlin vergleichbar. Und hinterher hatten einige meiner Bekannten noch wochenlang Panik, von Gegnern attackiert zu werden. Beklemmung aufgrund der eigenen Courage, wenn Sie so wollen.« Er stockte und fuhr flüsternd fort: »Der Druck mag sinken, aber die Angst steigt!«
    »Sie hatten mit Wolfgang deswegen Streit.« Michael Wiener stellte die Behauptung in den Raum und dieser Versuchsballon zeitigte eine unerwartet heftige Reaktion.
    »Wer sagt das?«, heulte Flocke auf. »Bei wem hat Wolfgang sich über mich beklagt?« Tränen liefen über seine Wangen. Er wischte sie zornig mit dem Ärmel seines Sweatshirts ab.
    »Wolfgang war das Versteckspiel leid«, stach Wiener ein wenig tiefer in die blutende Wunde.
    Körbel nickte wortlos. »Er meinte plötzlich, seine Mutter würde es schon überleben. Sicher könne das einige Zeit dauern, aber am Ende würde sie es akzeptieren. Schließlich liebe sie ihn. Er hat nicht eine Sekunde an seinen Arbeitgeber gedacht. Und ich bin sicher, dem alten Gieselke hätte das nicht gepasst. Dessen Denke stammt noch aus der Zeit, als man wegen Homosexualität mit Gefängnis bestraft wurde! Nicht einmal an seine Freunde hat er gedacht. Klar, die junge Generation gibt sich gern liberal, besucht wahnsinnig tolerant Rainbowpartys und gibt sich ansonsten nicht mit den Typen ab. Er war so unglaublich egoistisch!«, brach es unvermittelt aus ihm hervor.
    »Egoistisch deshalb, weil er auch Sie outete.«
    »Natürlich! Ganz zufällig weiß ich, dass mein Arbeitgeber Schwule nicht ausstehen kann. Und meine Freunde? Ich bin mir sicher, dass viele ganz schnell den Kontakt abgebrochen hätten. Aber Wolfgang hat mich nur ausgelacht. ›Was brauchst du andere Freunde, du hast doch mich!‹ So was hat er echt gesagt. ›Und du bekommst mich ganz und gar! Wir ziehen zusammen, können endlich öffentlich Hand in Hand spazieren gehen. Vielleicht heiraten wir sogar!‹«
    »Es kam zum Streit«, stocherte Wiener weiter.
    Körbel senkte den Kopf. Er sprach so leise, dass Wiener nicht sicher war, ob das Aufnahmegerät empfindlich genug war, alles zu erfassen. »Er drohte damit, mich zu verlassen. Zuerst habe ich gedacht, er hat einen anderen. Aber das stimmte nicht. Er hat behauptet, meine Liebe sei nicht stark genug! Ich war so verzweifelt wie noch nie zuvor in meinem Leben. Nie habe ich jemanden mehr geliebt als ihn! Ich wollte es ja nur nicht jedem auf die Nase binden. Sein Coming-out wäre mein beruflicher Tod gewesen. Und wovon hätte ich dann leben sollen?«
    In die entstandene Stille hinein schluchzte Flocke: »Ich bin schuld an seinem Tod!«
    »Schuld?« Wiener war froh, dass er zu Beginn
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