Gurkensaat
Spiel.«
61
»Also hat Sebastian Körbel die Leiche als Erster gefunden«, schloss Wiener etwas später seine Zusammenfassung ab.
»Und ist in heller Panik geflohen!«, schimpfte Nachtigall. »Erstens, weil er ein Mordmotiv hatte, und er zweitens dafür gesorgt hatte, dass Wolfgang Maul wehrlos war. Glauben wir ihm die Story?«
»Na ja, für mich klingt das alles plausibel. Auch seine emotionalen Reaktionen während des Gesprächs passten dazu und kamen mir ausgesprochen echt vor. Aber wenn er ein guter Schauspieler ist, muss es nicht zwangsläufig so gewesen sein«, räumte der junge Kollege ein.
»Angenommen, sie hätten doch diskutiert. Das Gespräch nahm aber nicht den von Flocke geplanten Verlauf. Im Gegenteil. Durch die Beruhigungsmittel im Tee war Wolfgang Maul der Zugang zur Problematik noch mehr versperrt als zuvor. Körbel geriet in Wut über Wolfgangs Nonchalance. Immerhin stand sein Arbeitsplatz auf dem Spiel, seine gesamte Zukunft war gefährdet – und der Mann, den er für seine große Liebe hielt, tat so, als sei das alles ohne jeden Belang. Er griff, vielleicht zunächst unbewusst, nach einem dicken Ast. Als er erkennen musste, dass sein Geliebter von seinem Vorhaben nicht abrücken würde, ihn Sebastians Zukunftssorgen nicht interessierten, schlug er zu. Heftiger als geplant, er wollte doch nur, dass der andere endlich den Mund hielt. Schließlich war Wolfgang gerade dabei, ihre wunderbare Beziehung zu zerstören und es schien ihm sogar gleichgültig zu sein. Aber der Freund war nicht nur still. Er war tot. Hastig raffte Körbel alles zusammen. Vielleicht könnte er ja unerkannt entkommen«, entwarf Nachtigall ein mögliches Szenario. »Wir werden Körbels Wohnung durchsuchen. Vielleicht finden wir dort einige der vermissten Dinge aus dem Rucksack des Opfers.«
»Und warum sollte Körbel ›Mörder‹ an die Bäume schreiben?«, fragte Skorubski irritiert. »Das ergibt doch keinen Sinn!«
»Er schreibt ›Mörder‹ auf die Rinde, um sich selbst zu entlasten. Wolfgang ist selbst schuld daran, dass alles so gekommen ist! Wäre er nur ein wenig einsichtiger gewesen, nichts davon hätte passieren müssen. Vielleicht hasste er ihn in diesem Moment sogar, weil er diese ganze schreckliche Entwicklung mit seiner blöden Idee des Coming-out erst herbeigeführt hat.«
Skorubski brummte zustimmend. »Er ist praktisch durch sein Fehlverhalten zu seinem eigenen Mörder geworden. Hat den anderen bewusst so weit an die Wand gedrückt, dass ihm keine andere Wahl mehr blieb.«
»Schlimmer noch. Er hat Körbel gezwungen, das Liebste zu töten, was es in seinem Leben gab.«
»Auf der anderen Seite hat er die ganze Geschichte aus freien Stücken erzählt«, warf Wiener ein. »Auch die Sache mit dem Medikament im Tee.«
»Hast du ihn gefragt, ob die Ausrüstung des Opfers noch am Tatort lag?«
»Ja. Für ihn war zweifelsfrei klar, jemand musste Wolfgang getötet haben. Einen Unfall hat er von vornherein ausgeschlossen. Da er nicht mit diesem Verbrechen in Zusammenhang gebracht werden wollte, suchte er nach der kleinen Thermoskanne, um den ›behandelten‹ Tee verschwinden zu lassen. Ihm war natürlich bewusst, dass die Polizei alles akribisch absuchen würde. Zu seinem Schrecken musste er feststellen, dass die gesamte Ausrüstung unauffindbar war. Seither lebt er in ständiger Angst vor einer Erpressung.«
»›Ich weiß, was du in den Tee getan hast‹? Das wirkt nicht sehr wahrscheinlich. Der Erpresser müsste ja in dem Fall erklären, was er am Tatort zu suchen hatte. Außerdem müsste er tatsächlich wissen, was Körbel geplant hatte, und ich glaube nicht, dass er mit einem Dritten über diesen Plan gesprochen hat.«
»Mit Mandy Klinger?«
»Möglich. Das müssen wir klären. Sie wusste ja auch vom Geheimnis der beiden.«
Michael Wiener räusperte sich. »Peter, ich glaube, Körbel hat seinen Freund wirklich geliebt. Mag sein, dass er über die Rücksichtslosigkeit enttäuscht war, mit der das Opfer sein Coming-out durchsetzen wollte, aber bei ihren Gesprächen ging es wohl tatsächlich nur darum. Ein Ende der Beziehung hat keiner erwähnt. Das Opfer war bis zur Unkenntlichkeit verprügelt worden. Ich meine nicht, dass diese Mordmethode zu Körbel passt.«
Bevor Nachtigall antworten konnte, klopfte es kurz und hart an der Tür. Dr. März preschte energisch ins Büro. Den angebotenen Stuhl lehnte er knapp ab, blieb demonstrativ stehen. Gereizt wanderten seine Augen über die Köpfe der
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