Gurkensaat
Die Klinik hat sich bei mir gemeldet. Sie hätte gern, dass du vorbeikommsch. Die Kleine hat wohl was für dich g’malt.«
»Danke. Wir fahren hin und kommen anschließend zu dir!«
»Albrecht, wir fahren erst ins Klinikum.«
Skorubski nickte und startete den Wagen. »Glaubst du wirklich, die beiden Morde könnten zusammenhängen?«
»Es wäre doch ein verdammter Zufall, wenn nicht, oder? Beide Opfer standen in einer engen Beziehung zur Familie.«
»Aber Wolfgang Maul hat eigene Feinde. Seine privaten Aktivitäten streifen die Familie Gieselke bestimmt nicht einmal am Rande«, wandte Skorubski ein.
»Du denkst an die Wölfe.«
»Ja, sicher. Und daran, dass sich der größere Teil seines Lebens unabhängig von den Gieselkes abgespielt hat.«
Nachtigall, dem die Schattenbilder an den Wänden des Gästezimmers im Haus der Großeltern noch lebhaft gegenwärtig waren, seufzte. Skorubski hatte ja recht. Jedes der Opfer hatte seine eigenen Feinde. Fragte sich nur, wer den jeweiligen Mord begangen hatte.
»Wenn wir wissen, ob die Schafe vor oder nach dem Mord an Wolfgang Maul gestorben sind, können wir auch die seltsame Nachricht an den Bäumen besser einordnen.«
»Wenn sich dieses Wort ›Mörder‹ auf die gerissenen Tiere bezieht, käme auch Korbinian Nagel als Verdächtiger in Betracht. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Mörder versucht, dadurch von sich als Täter abzulenken, indem er sich als Entdecker der Leiche ausgibt. Und vielleicht haben ihm ja noch mehr Leute gedroht, nicht nur Ferdinand Kramstätter.« Skorubski blinkte und hielt neben der Pforte zum Klinikum.
Die Zufahrt war durch eine rot-weiße Schranke versperrt.
»Am besten ist, du steigst aus und gehst vor. Um diese Zeit gibt es hier keine Parkplätze. Ich verhandle mit dem Pförtner und komme nach.«
»Gut. Ansonsten treffen wir uns wieder hier«, bestätigte Nachtigall und wusste bereits jetzt, dass Albrecht ihm nicht folgen würde.
Skorubski nickte und ließ das Fenster herunter, um mit dem Pförtner über eine Abstellmöglichkeit für das Auto auf dem Klinikgelände zu diskutieren.
»Kaum war ihre Mutter zur Tür raus, hat sie mit Feuereifer angefangen zu malen. Wir denken, diese Zeichnung könnte interessant für Sie sein.« Aufgeregt streckte Schwester Lara dem Hauptkommissar ein Blatt Papier entgegen.
Ein Garten, ein Zaun, eine leicht verwilderte Hecke, einige Bäume – wenig spektakulär. Wäre da nicht in der Mitte der Zeichnung diese Gestalt gewesen. Ganz in Schwarz, von hinten gesehen.
»Was ist das?« Nachtigall zeigte auf eine Stelle neben der menschlichen Figur, die sich mit großen Schritten zu entfernen schien.
»Wir halten es für ein Kaninchen.«
»Ein Kaninchen? Hat Annabelle denn nichts dazu gesagt?« Dumme Frage, schalt er sich, sie spricht ja mit niemandem.
»Nein. Sie saß am Fenster und starrte in den Himmel. Als ich das Bild vom Tisch nahm, reagierte sie überhaupt nicht. Aber sehen Sie? Hier oben steht: Für den Vogelmann. Damit können nur Sie gemeint sein, nicht wahr?«
»Mag sein«, murmelte Nachtigall unsicher.
Frau Dr. Justus winkte den Ermittler in ihr Sprechzimmer und bot ihm einen Platz an. »Wir glauben, Annabelle hat dieses Bild für Sie gemalt, um Ihnen den Mörder zu zeigen.« Sie legte die Zeichnung auf den Tisch zurück. »Sie spricht noch immer nicht. Dieses Bild ist aber eine Form der Kommunikation. Sie ist bereit, Ihnen bei den Ermittlungen zu helfen. Sie will, dass der Mörder ihres Bruders gefasst wird.«
Nachtigall nickte vage. Er war sich in diesem Punkt nicht so sicher. Nicht, nachdem er die Schattenbilder über die Wände hatte huschen sehen. Seine Gedanken schweiften ab. Es konnte sein, dass Annabelle ihren Bruder getötet hatte. Im Affekt. Selbst drei Schüsse waren durch akut freigesetzten Jähzorn erklärbar.
Maurice reizte sie immer wieder und wieder. Wusste genau, wo er den schmerzhaften Stachel ins Fleisch treiben musste. Und irgendwann konnte sie es nicht mehr ertragen, wollte nur noch ihre Ruhe haben. Die Pumpgun war das Kindergewehr. Hatte sie es ausgewählt, weil es das Übungsgewehr war, das, mit dem sie sicher hantieren konnte?
Sollte er Frau Dr. Justus von dem Lampenschirm erzählen? Er entschied sich dagegen. Annabelle würde es als Verrat empfinden, was spätere Gespräche mit ihr unnötig belasten könnte. Und sie hätte ja recht mit dieser Auffassung.
Er nahm die Zeichnung wieder vom Tisch.
»Können Sie sich auf ein Geschlecht festlegen?
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