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Gurkensaat

Gurkensaat

Titel: Gurkensaat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Steinhauer
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Handelt es sich bei dieser Figur um einen Mann oder eine Frau?«
    Die Ärztin schob die Brille zurecht und schaltete die Schreibtischlampe ein. Sie beugte sich tief über den relevanten Bildausschnitt, änderte ihre Körperhaltung, richtete den Lichtkegel anders aus, versuchte es erneut – und gab mit einem unzufriedenen Seufzen auf.
    »Hmhmhm. Schlecht zu sehen«, meinte sie enttäuscht. »Vielleicht konnte sie selbst es auch nicht erkennen. Es ist doch durchaus denkbar, dass sie die fliehende Gestalt erst entdeckte, als diese schon weit entfernt war.«
    »Ja, das ist natürlich möglich. Und dieses Tier?«
    »Das ist ein Kaninchen. Sehen Sie diese auffälligen Ohren?«
    »Aber warum ist das Kaninchen schwarz?«, fragte Nachtigall und seine Skepsis war deutlich zu hören. »Schwarz wie die fliehende Gestalt. Ist das nicht sonderbar?«
    »Dafür könnte es durchaus mehrere Erklärungen geben. Die einfachste wäre natürlich, es handelt sich bei der Figur um jemanden, der solch ein Tier besitzt.« Sie schwieg und starrte die Zeichnung an.
    »Und die anderen?«, ermunterte der Ermittler die Ärztin, weiterzusprechen.
    »Kaninchen sind bei Kindern in einem bestimmten Alter der Renner. Sie sind weich und anschmiegsam, kuschlig, verlieren rasch ihre Scheu vor dem Menschen und sind praktisch nie aggressiv. Sollte es je Proteste geben, erfolgen die ziemlich lautlos. Kaninchen bellen, pfeifen oder maunzen nicht, das lauteste Geräusch, das sie erzeugen können, ist das Klopfen mit den Hinterbeinen auf den Boden. Denkbar wäre nun, dass Annabelle diese fliehende Person mit dem Gegenteil von all dem in Verbindung bringt und aus diesem Grund die Farbe Schwarz für das Tier gewählt hat.« Wieder kam das Gespräch ins Stocken.
    »Oder?«
    »Oder Annabelle meinte nur, der Flüchtende laufe so schnell wie ein Kaninchen davon. Womöglich hat er ja sogar ein paar Haken geschlagen.«
    »Vielleicht wäre es gut, wenn ich mit Annabelle darüber sprechen könnte. Dann erklärt sie mir eventuell genauer, was sie gemeint hat.«
    »Tut mir leid. Das geht jetzt nicht. Das Mädchen ist zur Therapie«, erklärte Frau Dr. Justus unterkühlt. »Außerdem kommuniziert sie im Augenblick nonverbal. Neue Erkenntnisse können Sie nicht erwarten.«
    »Angenommen, es handelt sich nicht um ein Kaninchen – könnte es nicht auch eine Katze sein?«
    Unwillig musterte ihn die Ärztin, dann betrachtete sie noch einmal intensiv das Bild. »Ehrlich gesagt hat es für mich keinerlei Ähnlichkeit mit einem Stubentiger. Wäre es für Ihre Ermittlungen besser, es handelte sich um eine Katze?«
    »Vielleicht wollte Annabelle mir einen Hinweis auf die Katzenklappe geben. Hier, dieser Strich, könnte das nicht ein Schwanz sein?«
    Deutlich genervt beugte sich Frau Dr. Justus noch einmal über die Zeichnung. »Gehört der nicht zum Arm? Hält die Gestalt da etwas in der Hand?«

29
    Flocke setzte das abweisendste Gesicht auf, das er produzieren konnte. Die waren doch alle nicht mehr ganz klar in der Birne! Was sollte er denn mit dem Mord an Wolfi zu tun haben? Mandy, diese kleine Zicke, hatte nichts Eiligeres im Sinn gehabt, als der Polizei die Namen aller Wolfsfreunde zu geben. Das war der einzige Grund, aus dem er nun hier saß und mit diesem blöden Kerl reden sollte. Geringschätzung wallte in ihm auf. Wie konnte die Polizei nur so kurzsichtig sein! Warum sollten sie ausgerechnet den Aktivsten aus der Gruppe für immer zum Schweigen bringen?
    Vor lauter Ärger hätte er beinahe die Frage des jungen Beamten überhört. »Sie sind Mitglied bei den Wolfsfreunden?«
    »Yupp.«
    »Wie Sie wissen, haben wir Wolfgang Maul tot aufgefunden. Er wurde ermordet.«
    »Yupp.«
    Michael Wiener unterdrückte ein Stöhnen. Würde das Gespräch so weitergehen, wüsste er am Ende nicht mehr als zu Beginn. Er musste eine Frage finden, die man nicht derart einsilbig beantworten konnte. Er gönnte sich eine kleine Pause und formulierte in Gedanken.
    »Welche Funktion hatte Wolfgang Maul innerhalb der Gruppe?«
    »Wir sind alle Wolfsfreunde«, erklärte Flocke und unterstrich dieses Statement durch heftiges Kopfnicken.
    »Gab es etwas, das der Wolfi besonders gut konnte?«
    »Naja, wenn Sie mich so fragen – der Wolfi, der hatte immer neue Ideen. Wie man die Bauern beruhigen konnte, zum Beispiel, oder welche Aktionen man noch durchführen könnte, um die Leute zu informieren und ihnen die Ängste vor dem Wolf zu nehmen.« Er senkte den Kopf, sein langer blonder Zopf baumelte

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