Gut gebrüllt Löwe
Boden geworfen hatte und meine Wachsamkeit abgelenkt war, sollte der Prinz entführt werden. Aber ich bin ihnen zuvorgekommen. Ich befehle dem dicken Sultan, dem gemeinen Löwen und dem dummen Kamel, Nekaragien sofort zu verlassen. Bis dahin muß ich den Prinzen vor ihnen bewahren. Jeder Nekaragier, der ihnen hilft, ja nur mit ihnen spricht, wird als Landesverräter geköpft werden. Deshalb geht in eure Häuser und schließt Türen und Fensterläden!«
»Aber das ist ja alles gelogen!« drohte der Sultan mit geballter Faust nach oben.
»Verschwindet! Alle!« kreischte Rao. »Ich lasse euch mit einem Hagel von Speerwürfen überschütten!«
Die Soldaten erhoben die Spieße, und Rao begann zu zählen: »Eins — zwei... und eins...«
Da wichen die Nekaragier angstvoll. Sie liefen, was ihre Füße sie tragen wollten, in ihre Häuser und verriegelten Fenster und Türen.
»Kommt!« zischte die Kobra. »Wir müssen beraten, was zu tun ist. Hier sind wir verloren!«
So mußten auch sie sich von der Burg zurückziehen, ehe Rao die Zahl drei ausgesprochen hatte. Sie taten es mit schwerem Herzen und mit den schlimmsten Befürchtungen.
Als sie auf den Marktplatz von Burugel zurückkehrten, war es, als ob die Stadt, die ihnen vor kurzem noch zugejubelt hatte, plötzlich ausgestorben sei. Nur der Blechbüchsengeneral lag im Ring wie ein aufgespießter Maikäfer.
»Den nehmen wir mit, wer weiß, wozu er uns nützen kann!« sagte die Kobra. Also löste Löwe auch das Brett unter General Blech, und der Elefant rollte ihn wie einen Baumstamm in seinen Rüssel, um ihn nach Schloß Firifalo zu tragen.
Dort befreiten sie ihn mit vieler Mühe von seiner Verschalung und der Rüstung und legten ihn in ein tiefes Kellerverlies, das sie sorgfältig abschlossen. Der General war immer noch nicht aus seiner Ohnmacht erwacht. Er stöhnte nur leise, und einmal flüsterte er: »Springen! — Flug!! — Fluug!!!«
Sie konnten sich nicht denken, was das bedeuten sollte.
Ein Wo llknäuel
Die Schildkröte Kolossalis hätte es ihnen erklären können. Aber sie war weit weg. Durch den dichten Urwald war sie mit der Schnur gezogen, die einmal zu einem Teppich gehört hatte — aber plötzlich war sie stehengeblieben und hatte tiefnachdenklich die Büsche und Bäume um sich herum betrachtet.
»Wie kommt es eigentlich«, fragte sie sich, »daß ich den großen, schweren und breiten Teppich so mühelos zwischen diesen engstehenden Bäumen und durch die stachligen Aste der Büsche hindurchziehen kann?«
Sie drehte sich um und betrachtete verblüfft das, was aus ihrem Maul heraushing und hinter ihr im Gras unsichtbar wurde. »O du gesprenkeltes Schildkrötenei«, plapperte sie, und eine Libelle, die über ihrem Haupt surrte, fragte: »Bist du eine Spinne geworden? Nur bei Spinnen habe ich nämlich bisher gesehen, daß ein so langer Faden nachgezogen wird.«
Kolossalis konnte sich das Rätsel nicht erklären. Ich muß aus dem Wald raus, um etwas sehen zu können, dachte sie schließlich und setzte sich in Bewegung.
Nach langer Zeit gelangte sie an den Fuß des Berges Dadapoetel und erinnerte sich daran, einmal von einer großen, baum- und strauchlosen Hochebene gehört zu haben. Dort hinauf wollte sie. Ach, das war schwer!
Erschöpft langte sie am Nachmittag oben an. Die Hochebene bestand aus einer großen Wiese. Kolossalis überquerte sie bis zu deren äußerster, entgegengesetzter Seite. Aber noch immer war das Ende des Fadens nicht zu sehen, es hing weit hinten über der Bergwand in die Tiefe.
Kolossalis legte sich nieder und versank in tiefes, angestrengtes Nachdenken. In großen Zeitabständen stellte sich mal dieser, mal jener Gedanke bei ihr ein. Ungefähr so: Teppich... Faden... auseinander... zusammen... Faden... Netz... Teppich... Weben...
»Jawohl!« sagte sie dann. »Der Teppich ist auf gegangen, und er muß wieder zusammengeknüpft werden.«
Sie begann die mühsamste Tätigkeit ihres Lebens. Sie zog die Schnur quer über die Wiese, dann drehte sie um und versuchte genau parallel dazu eine zweite Linie anzufügen — und so wieder und wieder. Aber es gelang ihr nicht, den Faden gerade hinzulegen, und noch weniger konnte sie die Fäden miteinander verknüpfen. Sie zog nur emsig und unverdrossen wie ein pflügender Bauer über das Feld, aber bei jedem Hin oder Her brachte sie die zuvor gezogenen Linien wieder heillos durcheinander.
Entkräftet und den Tränen nahe, beschloß sie, den verwirrten Anfang wieder zu ordnen. Mit dem
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