Gut gebrüllt Löwe
Faden im Maul erklomm sie einen Hügel, um von diesem die sanft abfallende Hochebene und ihre Weberei zu überblicken.
Da verlor sie das Gleichgewicht. Sie kippte kopfüber hinunter. Instinktiv zog sie Kopf und Beine ein — aber den Faden ließ sie nicht aus dem Maul.
Sie kugelte und kollerte und kam mehr und mehr in Fahrt. Jedesmal, wenn sie sich überschlug, wickelte sie sich den Faden einmal mehr um den Leib. Schon war sie ein kleines Wollknäuel, das die Wiese hinunterrollte. Erst die Wiese und dann über deren Rand steil hinab — ein wirbelnder, kugelnder, von Fels zu Fels springender Lawinenball, ein Kugelblitz.
Als sie endlich am Fuß des Berges gegen die Bäume knallte, hatte sie den ganzen Faden um sich herumgespult. Wie eine Art vom Himmel gefallener Vollmond lag sie da, weich eingewickelt, so daß sie den Bums kaum gespürt hatte. Aber sie konnte auch nichts hören und nichts sehen. Sogar denken konnte sie nur dumpf, wie in lauter Watte. Ihr kam der Befehl: »Hinlegen! — Roll!! — Roll!!!« in den Sinn. Das war nicht viel, und es wurde auch im Laufe der Zeit nicht mehr.
Herbringen
Schon den ganzen Tag zog der Beobachtungskondor in vielen tausend Metern Höhe seine Kreise. Stahlblau glänzten seine Flügel. Der Wind fiederte seine weiße Halskrause auseinander. Mit den kräftigen Fußkrallen umklammerte er den Spiegel, in dem sich — je nachdem, wo er flog und wie er ihn hielt — die Stadt Burugel, das Schloß Firifalo oder der Berg Dadapoetel widerspiegelten.
in ihm hatte Professor Nomus, zum Greifen nah herangeholt, durch sein Fernrohr die Ereignisse des Tages verfolgen können. Nichts war ihm entgangen. Nicht der Einzug Prinz Panjas in die Stadt, der Kampf zwischen General Blech und Löwe und der Raub des Prinzen durch den Gibbon, der den Knaben unter seinem rechten Arm — behende über die Dächer der Stadt springend, von Sims zu Sims oder von Ast zu Ast schwingend — zur Burg Machatofel getragen hatte.
Jetzt aber sah Professor Nomus etwas, das er sich nicht erklären konnte.
»Dreimal gongen«, befahl er dem ersten Ameisenbär, und der bumste seinen Rüssel dreimal gegen die Metallscheibe. Dumpf hallten die Schläge.
Rao und der Gibbon kannten dieses Zeichen. Sobald es ertönte, unterbrachen sie jede andere Tätigkeit, ja, sie verließen sogar nachts ihr Bett, um auf den Beobachtungsturm zu klettern.
Alarm! dachte Rao. Der Löwe kommt. Nun, soll er nur kommen! Mit tiefer Verbeugung machte Professor Nomus ihm den Platz am Fernrohr frei. Rao schaute in den Himmel und sah das Wollknäuel am Waldrand liegen. Professor Nomus erklärte, was er noch alles gesehen hatte.
»Henkersbeil und Galgenstrick!« polterte Rao. »Ich denke, eine Armee von Feinden rückt an, statt dessen sehe ich meinen Kolossalen Hoheitlichen Festtafelsockel ganz verwickelt in irgendeine Schnur. Was hat das zu bedeuten? General Blech! Sofort ausrücken und hertransportieren.«
»Das kann er schwerlich!« brummte der Gibbon. »Er ist ja ein gefangener, auf gespießter Käfer.«
»Na, meinetwegen«, murrte Rao. »Dann rückt eben der Korporal aus!«
So geschah es.
Vier Blechbüchsensoldaten unter Führung des Korporals klirrten über die Zugbrücke und marschierten zum Berg Dadapoetel. Sie trugen lange spitze Spieße über den Schultern.
»Ram-tatata-tam, taram-tatata-tam!« machte da die Trommel.
Stricknadeln
»Ich höre Soldaten trommeln!« sagte der Flamingo. Er stand auf der Marmorbrüstung des Schlosses Firifalo und horchte ins Land.
»Alarm!« wieherte das Kamel. »Sultan, wo ist dein Schwert? Löwe, komm in meine Nähe! Elefant, vielleicht kannst du sie mit deinem Rüssel in die Flucht schlagen! Oh, ich hätte nie gedacht, daß ich je im Leben einmal so große Sehnsucht nach dem fliegenden Teppich haben würde!«
»Ja, richtig! Der fliegende Teppich!« Der Sultan war mit großen Schritten auf der Terrasse hin- und hergegangen und legte nun den Zeigefinger an die Nase. »Wir brauchen unbedingt den fliegenden Teppich. Über all den aufregenden Ereignissen habe ich ihn ganz vergessen. Flamingo, vielleicht könntest du rasch mal hier herumfliegen und nachsehen, ob er nirgends liegt. Ich kann mir nicht denken, daß er sehr weit weg ist, denn wer außer mir kennt das Geheimnis, wie man ihn zum Fliegen bringt?«
»Daran hätten wir schon früher denken sollen«, jammerte das Kamel. »Wer weiß, welcher Esel ihn sich unter sein Bett gebreitet hat, weil er nicht weiß, was für wunderbare Fähigkeiten er
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