Gut gebrüllt Löwe
schwebte durch die Stube. Sassamar hüpfte freudig herum. Er hatte den Sultan scharf beobachtet und sich seine Handbewegungen und Worte gemerkt.
»Ja, ja«, rief er tanzend, »es ist die Wolle eines fliegenden Teppichs! Gesegnet sei dieser Tag meines Teppichweberlebens! Ich werde mich gleich an die Arbeit machen!«
»Ich belohne dich gut!« versprach der Sultan. Er legte ein Goldstück auf den Tisch. »Bring mir den Teppich ins Schloß Firifalo, sobald er fertig ist.«
»Ins Schloß?« murmelte Sassamar und verneigte sich. Insgeheim erschrak er tief. Da war er unversehens zwischen zwei mächtige Mühlsteine geraten. Würden sie ihn zermahlen? Wie konnte er sich retten? In die Burg — und ins Schloß, grübelte er, als er zu arbeiten begann und der Webstuhl unter seinen kräftigen Tritten knarrte. Das Weberschiffchen schoß so hastig hin und her wie seine Gedanken.
Da kam ihm eine Erleuchtung. Das goldene Buch der Teppichweber! Ganz verstaubt und vergessen lag es unter altem Gerümpel, von Mäusen angenagt. Hastig kramte er es hervor und blätterte in den vergilbten Seiten.
»Teppiche — gewebte — geknüpfte — geflochtene Zeltteppiche — Gebetsteppiche...« Hier, hier war das, was er suchte: »>Fliegende Teppiche...<«, mit dem Finger fuhr er buchstabierend die Zeilen entlang, »>...können nur von besonderen Meistern gewebt werden, die ihre Kunst wiederum von besonderen Meistern gelernt haben. Es ist kein lebender Meister bekannt. Jedoch ist es möglich, die Fähigkeit des Fliegens für kurze Zeit von einem echten fliegenden Teppich auf einen unechten zu übertragen, wenn letzterer dem ersteren genau gleicht. Man muß dann den unechten Teppich auf den echten legen, sich flach darauf ausstrecken, den guten Geist der Teppichweber um Hilfe anflehen und mit seinen Armen die Bewegung des Flügelschlagens nachahmen. Die Gabe des Fliegens färbt dann auf den unechten Teppich ab. Allerdings behält er sie nicht lange. So plötzlich, wie er sie erhielt, verliert er sie auch wieder. Mitten im Flug wird er abstürzen, und niemand weiß, wann!< Das will ich tun! « jubelte Sassamar. »Ich webe einen zweiten Teppich, den man von dem echten nicht unterscheiden kann. Ich selbst will nicht wissen, wer diesen bekommt, wer jenen. Das Schicksal mag entscheiden, ich bin unschuldig.«
»Sultan«, brummte der weiße Elefant, als er neben ihm ins Schloß zurücktrabte, »nimm es mir nicht übel — aber es war ein Fehler, dem Weber das Geheimnis des Teppichs zu verraten.«
»Meinst du?« fragte der Sultan bekümmert. »Dann sage es bitte nicht weiter. Das Kamel bildet sich sowieso immer ein, klüger zu sein als ich!«
Die Hexe Zukuruku
Das Kamel war aber inzwischen unterwegs zur Wahrsagerin Zukuruku, die eine Höhle am Fuß des Berges Dadapoetel bewohnte. Löwe trottete geduldig neben ihm her.
Zu diesem Gang war es so gekommen: Als sie auf Schloß Firifalo beratschlagten, wie Rao zu besiegen sei, hatte Kolossalis plötzlich geseufzt und gemeint: »Man müßte in die Zukunft sehen können!«
»Kartenlegen oder Kaffeesatz?« fragte das Kamel.
»Unsinn — die Sterne!« antwortete die Schildkröte. »Raos Oberburgbeobachter Professor Nomus schaut die ganze Nacht durch sein Fernrohr, berechnet den Lauf der Gestirne, schlägt mit dem Zirkel Kreise auf ein magisches Papier — ja, und dann weiß er alles. Aber leider, er ist auf Burg Machatofel!«
»Ich halte nichts davon!« zischte die kluge Kobra. »Alles Humbug. Aber wer will, kann sich ja zur alten Hexe Zukuruku aufmachen. Nützt es nicht, so schadet es auch nichts!«
»Ich gehe!« hatte das Kamel gesagt und sich den Weg beschreiben lassen. »Löwe, begleitest du mich bitte?« hatte es mit zitternder Unterlippe geflüstert. »Bei einer Hexe kann man nie wissen...«
So wanderten sie jetzt gemeinsam durch den finsteren Urwald, kamen an den Fuß des Berges und sahen in der Dämmerung aus einer Höhle einen schwachen Schimmer dringen.
»Vielleicht ist der Abend nicht die richtige Zeit für den Besuch bei einer Wahrsagerin?« fragte das Kamel, weil es ein Kribbeln am ganzen Körper fühlte.
»Unsinn! Angstkamel!« brummte Löwe und trieb es über Geröllhalden bergan. Immer niedriger wurde das Dickicht. Endlich standen sie zwischen dunklen Steinen vor dem Eingang der Höhle. Innen flammte ein unheimliches, schwefelgelbes Licht. Dämpfe nebelten ihnen entgegen.
»Es ist ganz bestimmt nicht die richtige Zeit!« wisperte das Kamel mit geweiteten Nüstern.
»Sie ist es
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