Gut gebrüllt Löwe
den Augen, und sein Bart war fast so dicht wie der Pelz des Gibbon. »Ich will nicht länger warten. Der General soll mit einer Kompanie Blechbüchsen hinübermarschieren und das Nest ausräumen.«
Burgrat Gibbon setzte den Kürbis ab und kratzte sich unter der Achsel. Das bedeutete, daß er für Unsinn hielt, was die anderen schwatzten. »Hoheit!« murrte er. »Es ist wirklich langweilig, immer wieder dasselbe sagen zu müssen. Es gehört doch nicht viel mehr Verstand dazu, als diese kolossal riesige, aber auch kolossal dumme Schildkröte in ihrem stecknadelgroßen Kopf hat, um zu begreifen, daß wir Prinz Panja nicht überfallen, gefangennehmen oder gar töten dürfen. Die Einwohner des Landes Nekaragien und besonders der Hauptstadt Burugel verehren in ihm den zukünftigen König, und wenn sie auch vor Euch und Eurer Macht zittern...«
»Sollen sie, sollen sie!« brüllte Rao, und der General der Blechbüchsenarmee salutierte scheppernd.
»...Macht zittern«, setzte der Gibbon seine Rede fort, »sie würden sich vielleicht doch gegen Euch erheben, wenn dem Prinzen ein Unheil geschähe. Ihr müßt ihn nach und nach auch von den letzten Freunden trennen. Droht diesen heimlich mit dem Tod, wenn sie noch weiter zum Prinzen stehen; versprecht ihnen Reichtümer, Ämter, wenn sie sich auf Eure Seite schlagen.«
»Ich habe doch eben erst diese Schildkröte zum Kolossalen Kriechenden Hoheitlichen Festtafelsockel erhoben. Mir fällt, weiß Henkersbeil und Galgenstrick, bald kein Amt mehr ein, das ich noch vergeben könnte.«
»So besonders viel ist Euch ja auch bei mir nicht eingefallen!« wisperte die Schildkröte und schielte vergrämt nach oben. »Natürlich macht es mir nichts aus, die Festtafel auf meinem Buckel zu tragen, und auch Eure schmutzigen Füße stören mich nicht so sehr. Aber es ist gerade kein Genuß, Euch beim Essen und Trinken schmatzen und rülpsen zu hören, während ich mich mit einem mageren Salatblatt begnügen muß.«
»Hör einer die undankbare Kröte an!« polterte Rao und trat mit dem Stiefel nach ihr. Aber Kolossalis hatte schon Kopf und Beine eingezogen, und der Oberbefehlshaber stieß sich seine große Zehe so heftig an ihrem Panzer, daß er einen gräßlichen Fluch ausstieß und auf einem Bein herumtanzte.
»Wenigstens ist es praktisch, daß dieser Kolossale Kriechende Hoheitliche Festtafelsockel die gedeckte Tafel aus der Küche in den Speisesaal und die abgegessene Tafel vom Speisesaal in die Küche tragen kann. Das spart mindestens zwanzig Essenträger«, gab der Gibbon zu bedenken. »Aber um in meinem Vortrag fortzufahren: Wenn kein Freund mehr bei Prinz Panja geblieben ist, der bereit wäre, für ihn zu kämpfen, dann ist Eure Zeit gekommen. Ihr erklärt, das kostbare Leben des kleinen Prinzen beschützen zu müssen. Ihr nehmt ihm nach und nach die Entscheidungen ab, schließlich erklärt Ihr ihn für krank. Er wird seine Abdankung unterzeichnen, und eines Tages ist er leider trotz aufopferungsvoller Pflege gestorben.«
General Blech lachte pflichtschuldigst, denn er fürchtete die Macht des gespenstischen Gibbon. Gerade jetzt hörten sie, wie oben auf dem Turm der wachhabende erste Ameisenbär seinen Rüssel gegen den Gong schlug. Es gab einen dumpfen Schlag, das Zeichen dafür, daß der Hofastrologe und Oberbeobachter Professor Nomus etwas erblickt hatte.
Henkersbeil und Galgenstrick
Rao, Burgrat Gibbon und General Blech eilten die Turmtreppe empor und zwängten sich durch den Austritt, während die Schildkröte in die Küche zurücktappte, um sich dort von der Tafel befreien zu lassen. Obwohl der Aufstieg auf den Turm für sie eine gewaltige Anstrengung bedeutete und sie auch vom Burgrat nicht gern dort oben gesehen wurde, trieb die angeborene Neugierde sie doch, später zu folgen.
Oben klemmte Professor Nomus ein Auge vor das riesige Sternfernrohr, das gegen den Himmel gerichtet war. Der zweite Ameisenbär bewegte es nach oben oder unten, nach rechts oder links, indem er mit seinem Rüssel die Steuerräder eines Zahnradmechanismus drehte, je nachdem, wie Professor Nomus es anordnete. Das Objektiv des Fernrohrs folgte dem Flug eines riesigen Kondors, der ohne Flügelschlag in sechstausend Meter Höhe dahinsegelte und in seinen Krallen einen mächtigen Spiegel trug. In ihm sah man selbst Dinge, die weit entfernt hinter Bergen und Wäldern verborgen lagen. Soeben hatte der Professor im letzten Abendlicht den Flamingo auf diese Weise durch das Fernrohr erblickt und gleich
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