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Gut gegen Nordwind

Gut gegen Nordwind

Titel: Gut gegen Nordwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Glattauer
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später
    AW:
    Ja, danke, ausreichend! Wenn Sie von Ihrem Mann reden, Emmi, dann klingt das immer ein bisschen so, als wollten Sie mir zeigen, wie separiert und unabhängig man leben kann, wenn oder obwohl oder gerade weil man glücklich verheiratet ist. So schreiben Sie nicht »im Bürozimmer«, sondern »in SEINEM Bürozimmer«. Er sitzt nicht »auf unserem Sofa«, sondern »auf SEINEM Sofa«. Ja, er liegt nicht einmal »in unserem Bett«, er liegt »in SEINEM Bett«.
     
    Vier Minuten später
    RE:
    Lieber Leo, Sie werden es nicht glauben, aber bei uns hat tatsächlich jeder sein eigenes Zimmer, jeder sein eigenes Sofa und ja, sogar jeder sein eigenes Bett. Es hat nämlich witzigerweise jeder sein eigenes Leben. Sind Sie schockiert?
     
    25 Sekunden später
    AW:
    Warum wohnen Sie dann zusammen?
     
    18 Minuten später
    RE:
    Leo, Sie sind süß! Naiv wie ein Zwanzigjähriger. Weder kleben auf unseren Bürotüren Schilder mit der Aufschrift »Betreten verboten«, noch ist der Aufenthalt auf unseren Sofas »für Unbefugte nicht gestattet«. Noch enthalten unsere Betten den Warnhinweis »Vorsicht, bissig!« Kurzum: Jeder hat zwar sein Reich, aber jeder von beiden ist herzlich eingeladen, das Reich des anderen zu betreten, oder, wie wir das kürzlich formuliert haben,»in die Privatsphäre des anderen einzudringen«. Na? Wieder etwas über die Ehe erfahren?
     
    30 Sekunden später
    AW:
    Und wie alt sind die Kinder?
     
    35 Minuten später
    RE:
    Fiona ist sechzehn, Jonas ist elf. Und »mein Bernhard« ist um einiges älter als ich. So, lieber Leo, Familienstunde beendet! Ich möchte die Kinder gerne aus unserem Gespräch heraushalten. Sie haben mir vor einigen Monaten geschrieben, für Sie sei es so eine Art »Marlene-Verarbeitungstherapie«, mit mir zu plaudern. (Ich weiß natürlich nicht, ob das noch gültig ist, könnten Sie mir bei Gelegenheit einmal mitteilen!) Für mich ist es eine Art »Familienauszeit«, wenn ich Ihnen schreibe und von Ihnen lese. Ja, es ist ein kleines Inselchen außerhalb meiner Alltagserlebniswelt, ein Inselchen, auf dem ich ganz gern mit Ihnen alleine verweile, wenn es recht ist.
     
    Fünf Minuten später
    AW:
    Es ist recht, Emmi! Manchmal überrumpelt mich halt einfach die Neugierde, wie es bei Ihnen abseits unseres verschwommenen kleinen Inselchens so zugeht, wie Ihr bodenständiges Dasein auf dem Festland aussieht, im sicheren Hafen der Ehe. (Verzeihen Sie, das hat jetzt einfach zu gut gepasst.) Aber jetzt bin ich wieder ganz Insel. Also, wann trinken wir unser Glas Wein? Ist Ihnen Mitternacht zu spät?
     
    Zwei Minuten später
    RE:
    Mitternacht ist wunderbar! Dann freue ich mich auf unser Rendezvous.
     
    20 Sekunden später
    AW:
    Ich mich auch. Bis dann.
     

Mitternacht

Kein Betreff
    Liebe Emmi, hier ist der Leo, der wünscht Ihnen eine traumhafte Mitternacht, ganz zu zweit, nur für uns beide. Darf ich Sie umarmen, Emmi? – Darf ich Sie küssen? Ich küsse Sie. So, und jetzt trinken wir. Was trinken Sie? Ich trinke Sauvignon Visintini, Colli Orientali del Friuli, 2003. Und was trinken Sie? Schreiben Sie mir gleich, Emmi, ganz gleich, ja? Was trinkt die Emmi? Ich trinke Weißwein.
     
    Eine Minute später
    RE:
    Das ist aber nicht Ihr erstes Glas, Leo!!!
     
    Acht Minuten später
    AW:
    Ah, da schreibt wieder die Emmi. Emmi. Emmi. Emmi. Ich bin ein bisschen betrunken, aber nur ein bisschen. Ich habe den ganzen Abend getrunken und gewartet, bis es Mitternacht wird, bis mich Emmi besuchen kommt. Ja, es stimmt. Das ist nicht meine erste Flasche. Ich habe Sehnsucht nach meiner Emmi. Wollen Sie zu mir kommen? Wir machen ganz einfach das Licht aus. Wir müssen uns nicht sehen. Ich will Sie nur spüren, Emmi. Ich mach die Augen zu. Mit Marlene, das hat alles keinen Sinn. Wir bluten uns aus. Wir lieben uns nicht. Sie glaubt es, aber wir lieben uns nicht, das ist nicht Liebe, das ist nur Hörigkeit, das ist nur Besitz. Marlene will mich nicht loslassen, und ich, ich kann sie nicht festhalten. Ich bin ein bisschen betrunken. Gar nicht viel. Kommen Sie zu mir, Emmi? Küssen wir uns? Meine Schwester sagt, dass Sie wunderschön sind, Emmi, wer auch immer Sie sind. Haben Sie schon einmaleinen Fremden geküsst? Ich trinke jetzt noch einen Schluck Weißwein aus der Friaul. Ich trinke auf uns. Ich bin schon ein bisschen betrunken. Aber nicht viel. Und jetzt kommen wieder Sie an die Reihe, Schreiben Sie mir, Emmi. Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf. Emmi,

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