Gut geküsst ist halb gewonnen: Roman (German Edition)
noch blicken ließ, bis er ihnen eines Tages ganz fernblieb. Er hatte für seinen Job gelebt, ihm jeden
Atemzug gewidmet und ihn geliebt. Die Arbeit war sein Leben, und er hatte jede Minute genossen.
Bis das Kartenhaus zusammenbrach.
Quinn trank noch einen Schluck und setzte die Flasche auf seinem Oberschenkel ab. Ihr Name war Merry, als hätte sie glücklich und fröhlich sein sollen, doch in Merrys Leben hatte es nie etwas gegeben, das zur Freude Anlass gab. Sie war eine neunzehnjährige, drogenabhängige Hure, die anschaffen gehen musste, um sich mit Stoff zu versorgen. Die Droge ihrer Wahl war Black-Tar-Heroin, aber sie hatte einen Streit mit ihrem Freund/Dealer gehabt, nachdem er sie einmal zu viel brutal vergewaltigt und zusammengeschlagen hatte. Als Quinn Merry zum ersten Mal sah, waren ihre Augen mit Blutergüssen übersät und zugeschwollen. Beim zweiten Mal hatte sie sich verpflichtet, Quinns vertrauliche Informantin zu werden, ihn mit ihrem Dealer bekannt gemacht und ihn mit Informationen versorgt.
In den nächsten acht Monaten hatte Quinn getan, was er am besten konnte. Er hatte die Scheiße dick aufgetragen und sich langsam mit Pack angefreundet. Dann hatte er mitten in der Nacht einen Telefonanruf erhalten, der ihn aus der Bahn geworfen hatte: Merrys Leiche war in einem Einkaufswagen hinter Winco’s gefunden worden. Als er dort im schwachen Nieselregen stand und auf ihren zierlichen Körper und den abgesplitterten schwarzen Nagellack herabschaute, hatte blinde Wut sein Denken getrübt und ein Loch in sein Hirn gebrannt. Acht Monate Arbeit für die Katz.
Scheiße.
Er hatte gesehen, wie ein Regentropfen an Merrys Stirn und Nase hinabglitt. Der Tropfen fiel auf ihr Kinn, und in jenem
Moment hatte irgendetwas die Resettaste seines moralischen Kompasses gedrückt, der so schrecklich vom Kurs abgekommen war. Eine Frau war tot, im Grunde noch ein Mädchen, und sein erster Gedanke hatte der Arbeit gegolten. Als er diesmal in den Spiegel sah, gefiel ihm der harte, gefühllose Scheißkerl, der zu ihm zurückblickte, überhaupt nicht. Ihm gefiel nicht, was aus ihm geworden war.
Merry war Quinns Informantin gewesen, und er hatte sie enttäuscht. Als Polizist und als Mensch. Auf dem Papier hatte er alles richtig gemacht. Er hatte sich strikt an die Vorschriften gehalten, aber er hätte mehr tun müssen.
In ihrem kurzen Leben war er der letzte Mann gewesen, der sie enttäuscht hatte. Ihre Großmutter war die einzige Verwandte, die Anspruch auf die Leiche erhob, doch auch wenn er Merry zu Lebzeiten enttäuscht hatte, im Tod hatte er etwas für sie tun können. Er hatte die Beerdigung bezahlt, den besten Sarg gekauft und als einer der wenigen Trauergäste an der Beerdigung teilgenommen. Jedes Jahr an ihrem Todestag legte er pinkfarbene Rosen auf ihren Grabstein. Dabei wusste er nicht einmal, ob sie Pink gemocht hatte.
Merry war vor vier Jahren gestorben, doch die Schuldgefühle trug er immer noch mit sich herum. Das würde er wohl sein ganzes Leben. Eine ständige Mahnung, menschlich zu sein, und in einem Job, in dem er das Schlimmste im Menschen sah, bewahrte es ihn davor, erneut in die mentale Falle zu tappen, die Welt ausschließlich in »die und wir« aufzuteilen.
Nachdem er sich in den Anzug geworfen hatte und in die Abteilung zur Aufklärung von Gewaltverbrechen versetzt worden war, hatte er sich darauf konzentriert, Stück für
Stück wieder er selbst zu werden. Seine verzerrte Sichtweise auf Richtig und Falsch neu auszurichten. Auf Gut und Böse. Schwarz und Weiß. Er hatte geglaubt, das sei ihm gelungen. Er hatte langsam geglaubt, sich neben der Arbeit ein Leben aufbauen zu können. Eine Frau und ein Kind zu haben und einen von diesen Kindertragerucksäcken. Doch Amanda hatte ihm klargemacht, dass manche Dinge einfach nicht sein sollten. Nicht für Quinn. Er hatte sich damit abgefunden und war es zufrieden.
Er führte das Bier an die Lippen und zappte mit der Fernbedienung hin und her. Licht blitzte auf wie ein Röhrenblitz, als er einen großen Schluck nahm. Quinn arbeitete für sein Leben gern in der Abteilung für Gewaltverbrechen. Es gab ihm einen Kick, wahllos Spuren zu sichern, unvereinbaren Indizien nachzugehen und scheinbar zusammenhangslose Beweise zu sammeln. Er setzte sie leidenschaftlich gern zusammen, bis sie ein komplettes Bild ergaben und den Ermittlungen eine Richtung wiesen. Er liebte es, gewalttätige Kriminelle dingfest zu machen. Aber es war nicht sein ganzes Leben. Er war jetzt
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