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Gut genug - Erzählung

Gut genug - Erzählung

Titel: Gut genug - Erzählung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rotbuch-Verlag
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Ahnung, wie sehe ich aus. Er hat gesagt, oh, ist das das Kind. Ich kann mit Kindern nicht so viel anfangen. Ich habe gefragt, ob er den Drehbuchpreis gewonnen hätte, aber er hatte ihn nicht gewonnen, sondern schrieb statt dessen an einem neuen Drehbuch, das mit der RAF zu tun hatte und wahrscheinlich auch keinen Preis bekommen würde, aber vielleicht doch, weil man nicht wissen konnte, ob die RAF nicht demnächst in Mode käme, und jedenfalls habe ich ihm versprochen, das Drehbuch zu tippen. Es hat mich selbst gewundert, weil ich seit ein paar Tagen in einer Welt war, in der es keine Drehbücher gab, weil schon so einfache Sachen wie Tag und Nacht nicht mehr klappten. Abgesehen davon, daß mit meinem Gesicht etwas nicht in Ordnung war, schien der Drehbuchmann nichts zu merken.
    Zu Hause habe ich vorsichtig in den Spiegel geguckt und mich gewundert, wie verschieden ein einziger Mensch aussehen kann. Danach habe ich beschlossen, eine Weile lang lieber nicht in den Spiegel zu gucken.
    Als A.C. aus Brüssel zurückkam, hatte ich seit vorgestern nichts gegessen und etwa drei Stunden geschlafen. Die Rinderkraftbrühe von meiner Mutter fing an, magisch zu werden, selbst wenn sie bloß Mohrrübeneintopf mit Schweinebauch wäre. Bettwäsche war mir egal, obwohl ich mich zu erinnern meinte, daß es ein Leben gegeben hatte, in dem sie nicht naß, sondern trocken gewesen war. A.C. hat gesagt, wenn Flo so viel trinkt, wie er pissen kann, ist er bestimmt gesund. Dann hat er mir das Bett aufgeschüttelt und irgendwo eine Packung Butterkekse gefunden. Danach weiß ich nicht mehr.
    Als ich aufwachte, dachte ich, das Schlimmste ist überstanden. Aber natürlich ist es ein Irrtum gewesen. Immer wenn man denkt, das Schlimmste ist überstanden, fängt es erst richtig an.
    Es waren nicht wirklich sehr schlimme Schmerzen, nur eben so, daß du denkst, du stirbst. Das Idiotischste, was du bei solchen Schmerzen überhaupt machen kannst, ist zu überlegen, woher du sie hast, und natürlich ist es genau das, was ich gemacht habe, weil ich wirklich krank war und die Abwehrkraft aufgebraucht. Wer Krebs kriegt, ist selbst dran schuld. Dies waren Schmerzen, daß ich denken mußte, es kann nicht sehr viel in meinem Leben gegeben haben, was auch nur einigermaßen richtig gewesen wäre. Außerdem waren es Magenschmerzen, die man immer und jederzeit selber verschuldet, und sie waren so, daß viel große Schuld im Spiel gewesen sein mußte. Die Magenkrämpfe sind übler gewesen als Kinderkriegen, weil ich zwischen den Schmerzen gedacht habe, das ist psychosomatisch, was ich beim Kinderkriegen jedenfalls nicht gedacht habe. Ich finde psychosomatisch schlimmer als Kinderkriegen, das habe ich bei Gelegenheit dieser Magenschmerzen sofort gewußt, soweit ich überhaupt irgendwas wußte und nicht nur die ganze Zeit mit bis unters Kinn hochgezogenen Knien zusammengekrümmt auf der Seite lag, mal auf der einen und mal auf der anderen Seite, beides natürlich ging gar nicht, und Sterben wäre dem Nichts-geht-mehr-auf-der-Welt angemessen gewesen. Gleichzeitig war mir schlecht, also schlecht wie zum Würgen und mich Übergebenmüssen. Ich habe meine halbe Kindheit vor über an den verschiedensten Kloschüsseln hängend gebeugt knieend würgend und kotzend verbracht, und deshalb ist es natürlich besonders beunruhigend gewesen, an Magenschmerzen und Übelkeit ausgerechnet in dem Augenblick zugrundezugehen und zu sterben, wo das Kind ganz neu auf die Welt gelangt war. Es schien mir schwach und erbärmlich und feige. Als das Telefon klingelte, war es meine Mutter. Kurz darauf hat Ali angerufen, weil meine Mutter Ali angerufen hatte, weil Ali fast Ärztin geworden wäre. A.C. hat das Telefon mit in die Küche genommen, damit ich nicht hören muß, was sie sagt, und das war einer der Momente, wo es mir gar nichts ausmacht, dankbar zu sein.
    Ich kann Ihnen jetzt nicht so gut erklären, wie es kam, weil ich es selbst nicht verstehe, aber genau im nächsten Moment war mit einmal ein halbes Jahr später. Das kann nicht sein, sagen Sie, und das haben wir auch gedacht, aber dann haben wir auf dem Kalender nachgesehen, und da war es September, das Kind kroch auf dem Boden umher und hatte Zähne bekommen, und wir haben nicht verstanden, wie es gekommen ist, daß die Zeit plötzlich weg war, verschwunden, aufgefressen. Dabei war sie nicht kurz gewesen. Im Gegenteil. Es kam uns vor, als sei sie sehr sehr lang gewesen. Die längste Zeit, die wir kannten. Jeder Tag war so lang

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