Gut genug - Erzählung
dem brüllenden Kind rasch weggegangen, ehe wir das mit ihrem Totsein genauer herausfinden konnten. Wir sind nachdenklich noch eine Weile in der Sonne sitzengeblieben, Flo ist herumgekrochen, hat Gras ausgerupft und auf dem Gras herumgekaut und -gebissen, aber hat keine Hundescheiße gefunden. Danach hat eine andere Frau uns von weitem schon mit den Armen gewinkt, wir sind aufgestanden und ihr langsam entgegengegangen, sie hatte ein Kind im Kinderwagen, und auf dem Kinderwagen war ein Gepäckträger drauf, der nochmal ein Kinderwagen zu sein schien; in dem unteren Kinderwagen war ein sehr kleines Kind verstaut, auf dem oberen ein etwas größeres festgebunden. Die Frau hat gelacht und gesagt, ich bin völlig erschossen. Und ihr, und da habe ich gesagt, ich glaube, wir waren bis heute mittag tot, aber jetzt geht es schon wieder. Sie hat gesagt, ihr Glücklichen. Was ihr für ein Glück habt, und das fand ich auch. Es hat mich bedrückt, daß sie dazu auch noch lachte.
Auf dem Heimweg haben uns noch mehr Frauen gekannt und begrüßt, sie haben alle gesagt, daß sie tot und kaputt sind, eine war explodiert, und wir haben gedacht, das muß eine Losung sein. Damit geben sie sich zu erkennen. A.C. hat vor dem Obstladen zu einer Frau, die auch dazuzugehören schien, weil sie sagte, sie sei erschlagen, gesagt, man sieht aber gar nichts davon, und die Frau hat gesagt, nun, ich tu, was ich kann, alles die reine Kosmetik, und während sie das sagte, hat sie dem Kind beiläufig einen Apfel aus der Hand zu nehmen versucht, den es gerade klauen wollte. Sie hat gesagt, leg schön den Apfel zurück, aber das Kind wollte ihn nicht zurücklegen, sondern fertig klauen und wahrscheinlich essen, die Frau hat gesagt, wir haben zu Hause so schöne Äpfel, wart bis wir heimkommen, dann schält dir die Mama ein Äpfelchen, aber das Kind wollte nicht warten, sondern den Apfel sofort. Es gab ihn nicht her. Es war größer als Flo. Es konnte laufen. Das Kind hat den Apfel festgehalten und mit den Füßen getrampelt, und dann hat die Frau nochmal gesagt, ich bin völlig erschlagen, was soll ich bloß tun, aber das Kind hat den Apfel nicht hergegeben, sondern sich mitsamt dem Apfel auf den Bürgersteig hingelegt und mit den Füßen die Luft getreten. Ich habe gedacht, es hat einen epileptischen Anfall, ich habe schon einmal jemand mit einem epileptischen Anfall zu Boden gehen sehen, und es hat ähnlich ausgesehen, aber das Kind hier hatte keinen Schaum vor dem Mund. Es lag auf dem Boden und schrie. Aus dem Obstladen kam eine Verkäuferin und sagte, Sie müssen den Apfel kaufen. Wenn jeder mit seinen Dreckfingern auf das Obst grabschen würde. Das gibt Ärger mit dem staatlichen Ordnungsamt. Die fackeln nicht lang. Die machen uns gleich den Laden dicht. A.C. sagte, warten wir und sehen, wie es ausgeht. Die Frau schrie erst das Kind an, gibst du den Apfel jetzt her, und dann die Verkäuferin, sehen Sie nicht, daß ich erledigt bin. Ich bin tot, aber die Verkäuferin hat gesagt, meinetwegen, aber bloß weil Sie zu kaputt sind, um dem Kind beizubringen, daß es kein Obst klauen soll, lasse ich mir nicht den Laden dichtmachen. Die Frau hat gesagt, das geht den ganzen Tag so, alles grabscht es an und beißt rein, und ich kann das Zeug dann kaufen. Die Leute sind vorbeigegangen, ohne auf das Kind draufzutreten. Viele Leute. Aber sie schienen es nicht zu sehen. Die Männer, die vorbeigingen, haben der Frau nicht auf die Beine geguckt und nicht einmal auf den Hintern, als sie sich bückte, um das Kind an den Armen hochzuziehen. Es waren solche Beine und ein solcher Hintern, besonders als sie sich bückte, daß nach allem, was ich von diesen Sachen gedacht hätte, die Männer normalerweise draufgucken, wenn sie vorbeigehen. Aber keiner hat. Zuletzt hat die Frau das Kind am Ärmel hochgezogen und ihm den Apfel weggenommen. Sie wollte ihn wieder zurücklegen, aber er war angebissen und voll mit Rotz und Spucke, also hat sie die Mark bezahlt. Vielleicht sehen wir uns morgen im Park. Ich habe zu A.C. gesagt, eins wundert mich. Warum gucken die Männer ihr nicht auf den Arsch. So sind wir darauf gekommen, daß sie unsichtbar sind. Wir haben gesagt, wir können sie sehen, weil wir selbst dort waren, aber sonst sieht man sie nicht. A.C. hat gesagt, außer das Kind klaut Äpfel.
Es ist ein Skandal, das festzustellen. Alle gestorbenen Seelen treffen sich morgen im Park. Strömen zusammen und wandeln herum und halten sich auf. Tote. Erschlagene. Erschossene.
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