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Gut genug - Erzählung

Gut genug - Erzählung

Titel: Gut genug - Erzählung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rotbuch-Verlag
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gewesen. Keine Nacht war jemals zu Ende gegangen, sogar angefangene Stunden hatten einfach nicht mehr aufgehört. Wie kann eine solche endlose Ewigkeit plötzlich weg sein, verschwunden in einer einzigen kleinen Sekunde, in weniger als einer Sekunde. Weg.
    A.C., als wir festgestellt hatten, daß die Zeit uns abhanden gekommen war, hat gesagt, meinst du, wir waren gestorben, weil wir auch weggewesen waren. Wenn einem Zeit wegkommt, ist man auch selbst weg. Ich habe gesagt, kann sein, daß wir gestorben waren, aber es macht mir Sorgen. Irgend jemand mußte sich um Flo gekümmert haben in unserer Abwesenheit, weil er nicht verhungert, sondern gewachsen war und über den Boden kroch, und das hatte er vorher nicht gekonnt. Zähne hatte er auch keine im Mund gehabt, und jetzt hatte er unten zwei Zähne. In der Küche stand Mohrrübenbrei, daher hatte ich als erstes meine Mutter im Verdacht, aber die Wohnung sah ungeputzt und nicht aufgeräumt aus, also kam meine Mutter nicht in Betracht. Wir haben das Kind angeschaut, wie es da herumkroch und Töne machte, und es hat uns gut gefallen. Nur was mit uns passiert war, konnten wir nicht verstehen. Ich habe gesagt, entweder waren wir tot, oder es hat mit der Relativitätstheorie zu tun. Aber A.C. kannte sich damit nicht aus und ich auch nicht. Das Kind machte nicht den Eindruck, als wäre es sehr erschrocken, daß da zwei fremde Leute in seiner Wohnung stehen, es nahm manchmal Sachen hoch, die am Boden lagen, schüttelte sie, riß an ihnen herum und biß hinein oder schmiß sie auf den Boden und gegen die Wand. Manchmal versuchte es, die Katze am Schwanz zu fangen, aber es gelang ihm nicht. Die Katzenjungen waren weg oder ausgewandert. Wir sind sehr erschüttert gewesen. A.C. hat gesagt, das darf uns nicht nochmal passieren, und ich habe den Kopf geschüttelt und auch gesagt, das darf uns in keinem Fall nochmal passieren, weil wir uns vorgenommen hatten, am Leben zu bleiben, bis das Kind groß genug wäre, um damit klarzukommen. Das letzte, was wir genau wußten, waren die Magenschmerzen gewesen. Joseph und seine Brüder lag aufgeschlagen neben der Schreibmaschine. Noch immer der zweite Band. Wenn man ein halbes Jahr tot ist, wie leicht wird ein ganzes Leben daraus, haben wir gedacht, und dann kommt das Kind nicht damit klar. Gleichzeitig ist mir vorgekommen, als wollte die Zeit nicht vergehen, hat A.C. gesagt, als würden die Tage und Nächte nicht enden, und ich habe gesagt, so ist es mir auch vorgekommen. So ist bestimmt das Gestorbensein. Dann haben wir dem Kind etwas übergezogen, es lagen überall bunte Strampelanzüge herum und eine Strickjacke, die ihm paßte, A.C. hat es auf den Arm genommen und gesagt, wahrscheinlich hat deine Mutter ihn so vollgestopft. Ich habe ihn zur Probe auch einmal hochgehoben, und er war ziemlich schwer. Ich habe gesagt, meine Mutter oder deine Mutter oder wer, und dann sind wir in den Park spazieren gegangen.
    Im Park saßen lauter Leute mit Kindern auf den Bänken und auf der Wiese, die uns offenbar alle kannten.
    Wir hatten nie Leute mit Kindern gekannt, und daher hat es uns gewundert, daß uns die Leute grüßen, wir haben zurückgegrüßt und uns irgendwo hingesetzt auf eine Bank, auf der eine Frau saß. Die Frau schien uns auch zu kennen, sie sagte, da seid ihr ja endlich, ich dachte, ihr kommt heut nicht mehr.
    Stellen Sie sich unseren Schreck vor.
    A.C. hat geistesgegenwärtig gesagt, wir haben auch nicht gewußt, daß wir kommen würden. Ich habe es eine gute Antwort gefunden, weil sie stimmte und das Totsein darin nicht vorkam. Ich hätte mich nicht getraut, es einer fremden Frau weiterzusagen, die uns mit jemand verwechselt. Die Frau sagte eine Weile nichts mehr, vor ihr kroch ein Kind auf der Wiese herum. Flo hat zuerst eine Weile auf meinem Schoß gesessen und getrunken, danach haben wir ihn auf die Wiese gesetzt, und er fing auch an, herumzukriechen. Plötzlich sagte die Frau, ich bin ganz tot. A.C. sagte vorsichtig, wie – tot, aber sie sagte nichts mehr, weil das Kind vor ihr gerade begann, sich etwas von der Hundescheiße in den Mund zu stecken, die überall auf der Wiese lag. Die Frau sagte, laß das, pfui Moritz, baba, igitt und bäh, aber das Kind hat sie nicht verstanden und wollte weitermachen, und da hat sie es aufgehoben und in den Kinderwagen getan und angebunden. Sie hat gesagt, so eine kleine Sau, du kannst ihn den ganzen Tag saubermachen. Dann hat sie ihm mit Papiertaschentüchern die Hände abgewischt und ist mit

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