Gut genug - Erzählung
an zu laufen, und ich wußte nicht, was ich jetzt machen soll mit dem schreienden Kind und der Milch, und so bin ich im Kaufhof aufs Klo gegangen, habe das Kind aus der Decke gepackt und trinken lassen. Das Kaufhof-Klo hat noch schlimmer gestunken als ich. Plötzlich hat es an die Tür geklopft, ich bin aufgewacht und habe gemerkt, daß ich geschlafen hatte. Flo war naß, ich habe ihn in seine Decke gewickelt und bin nach Hause gegangen, um ihn trocken zu machen. Dann war es immer noch Viertel nach vier.
Drei Stunden danach war es kurz vor halb fünf. Immerhin hat sich der Zeiger bewegt.
Das mit der Zeit fing an, mich zu interessieren. Normalerweise halte ich selbst die Zeit an. Wenn Sie einmal mit dem Nachdenken angefangen haben, wissen Sie, wie es geht. Man legt sich ins Bett, erst liest man ein bißchen, dann hört man auf mit dem Lesen, sieht sich die Decke an und denkt nach. Ich halte die Zeit vielleicht nicht an, sondern schaffe sie eher ab. Sie gilt dann nicht mehr. Aber es ist etwas, was ich mache, wenn ich gar nichts mache. Als etwas, was ich mache, ist es großartig. An dem Nachmittag war es nicht großartig, weil ich es nicht gemacht hatte und weil noch sehr viel Tag übrig war und unaufgegessen vor mir lag. Ich wollte, ich hätte ihn runter. Erst habe ich es mit Joseph und seine Brüder versucht, weil ich schon ziemlich weit war und es mir vor der Geburt von Flo gut gefallen hatte, aber nach ein paar Stunden habe ich gemerkt, daß ich nur mit den Augen lese. Es war drei nach halb fünf. Aus irgendeinem Grund konnte ich jetzt nicht schlafen, obwohl das bißchen vorhin auf dem Kaufhof-Klo nicht ergiebig gewesen sein konnte, aber jetzt wollte es gar nicht klappen. Ich habe mir Kaffee gekocht und bin mit dem Kaffee ins Zimmer gegangen, um Flo beim Schlafen zuzugucken und aufzupassen, ob die Katze sich auf ihn setzt, aber die Katze war im Schrank. Meine Mutter hat manchmal erzählt, daß sie uns stundenlang zugesehen hat, wie wir schliefen, und ich hätte sie gern gefragt, ob es danach auch erst dreiviertel fünf war, aber ich habe mich nicht getraut anzurufen, weil ich dachte, bestimmt weiß sie noch eine Todesart, oder wie man es tüchtig quält. Flo hat auf einem Kopfkissen im Wäschekorb gelegen und im Schlaf mit den Fäusten die Luft geboxt. Wenn man von der Mängelliste nichts wüßte, habe ich gedacht, käme er einem intakt vor, bloß wenn man die Liste weiß, kommt man nicht wieder dahinter zurück. Wie die Affen auf die Bäume. Gnade.
Dann ist es von einer Sekunde auf die andere acht Uhr abend gewesen, und ich hatte nachgedacht, ohne es richtig zu merken. Flo wurde wach. Er hat getrunken, und ich habe gesagt, du mußt keine Angst haben, Flo. Man muß keine Angst haben. Das wäre ja noch gelacht, wenn man Angst hätte.
Als A.C. angerufen hat, habe ich gesagt, vielleicht wenn du deine nächsten Gangster ein paarmal allein fahren ließest, ob das wohl geht, und A.C. hat gesagt, es geht nicht, wie soll es gehen, weil wir die hundertdreißig Mark Kirchentonarten gleich am selben Abend ins Restaurant getragen hatten, und der Rest war irgendwie draufgegangen. Dann hat er gesagt, aber er macht es. Wir haben auch noch den Schein gehabt, den sein Vater bei Flos Geburt aus der Tasche gezogen hatte. Kauf dir was anzuziehen. Es ist komisch: Nie sind wir dahintergekommen, wie man halbwegs sein Geld verdient, ohne Sachen machen zu müssen, die man nicht machen darf, wenn man durchkommen will und am Leben bleiben. Selbstmord Suff Unfall und Krebs.
Als es Nacht wurde, ist Flo aufgewacht und hat angefangen zu schreien. Er hat getrunken, ich habe ihn gewickelt, er hat versucht einzuschlafen, aber es ging nicht. Als es nicht ging, hat er angefangen zu schreien. Ich wußte nicht, was ich machen soll, weil er getrunken hatte. Also habe ich ihn genommen und bin mit ihm im Zimmer herumgegangen. Ich habe mit ihm gesprochen, weil ich dachte, er kennt meine Stimme. Er hat seinen Kopf beim Schlafen immer in meine Richtung gedreht. Entweder durch den Geruch oder durch die Stimme hat er gewußt, wo ich hin und den Kopf in die Richtung gedreht, obwohl es noch gar nicht zulässig war für sein Alter. Ich dachte, falls es die Stimme ist, könnte sie ihn beruhigen, also habe ich ihm erst erzählt, wie man Gulasch kocht, Gulasch kochen dauert sechs Stunden, aber das Rezept geht leider ganz schnell, und danach habe ich ihm von Proust die halbe Recherche erzählt, aber er hat weiter geschrien, bis es geklingelt hat. Weil es A.C.
Weitere Kostenlose Bücher