gute freunde - boese freunde
haben nie etwas getrunken, wollten uns nur mit den besten Spielern messen. Aber es gab natürlich genügend andere, die sich im Laufe der Nacht total betranken.
Einmal ging die News von einer LAN in einem Privathaushalt in München herum – wir unseren Computer gepackt und los. Ein Neunjähriger allein daheim, die Eltern verreist – als der Kleine sah, was er mit seinem Rundruf angerichtet hatte, war es schon zu spät. 30 Leute waren gekommen, er verzweifelte, wollte unbedingt, dass wir wieder gehen – keine Chance. Wir spielten und spielten, er wurde in der Küche eingesperrt und musste Pizza für alle backen. Irgendwie gelang es ihm dann doch, seine Eltern zu alarmieren. Als wir hörten, dass die um sechs in der Früh im Anmarsch waren, hieß es: Nichts wie raus hier! Wir verschwanden im Morgengrauen, das Haus war verwüstet.«
Friends
»Die wirklich guten Spieler, das waren Gymnasiasten und Studenten. Das waren die, die wie wir Computerspiele für eine besonders fein abgestimmte Art von Schach hielten. Eher unangenehm, das heute zuzugeben, aber wir waren während unserer Sucht wohl unterbewusst auf der Suche nach unserer Elite. Das waren die Typen, die mit Strategie ihr Spiel durchzogen – im Gegensatz zu den anderen, die sich vom Geschehen leiten ließen und immer wieder neu überlegen mussten. Es gab Spieler, die spielten, und Spieler, mit denen gespielt wurde – wir gehörten zu den ersten.
Wir hatten unsere eigene Sprache, verstanden die Spiele anders als andere, unser Puls beschleunigte sich auf 180 in extremen |132| Spielsituationen, wir trainierten unseren Geist und kontrollierten unseren Willen, wir wollten nichts anderes als immer nur besser werden – wir fanden uns gut.
Da gab es zum Beispiel damals in Freiburg einen Clan, dessen Mitglieder waren richtig perfekt, unsere Vorbilder. Mit denen spielten wir zwei Jahren lang jeden Tag sechs, sieben Stunden. Eines Tages fror plötzlich das Bild ein, der Server stürzte ab, die Freiburger waren weg und tauchten nicht wieder auf. Wir hatten keine Möglichkeit, sie wiederzufinden, keine Kontaktdaten, nichts. Das war ganz schön hart, wir verloren wichtige und gute Freunde. Über ein Jahr später haben wir dann einen von denen in einem anderen Spiel wiedergefunden – große Freude: ›Bouncer ist wieder da!‹ Bouncer war wie wir ein Spieler auf dem Server, über den wir dann wieder den Kontakt zu den Freiburgern herstellen konnten – das sind jetzt die Freunde geworden, die uns seitdem jedes Jahr zur Wiesn-Zeit in München besuchen.
Freundinnen? Wir sind nie in Discos gegangen, uninteressant. Unsere Freundinnen lernten wir auf den LANs kennen. Optimal war, wenn die mit uns spielen konnten.
Wobei: Der Vorteil spielender Freundinnen war auch für uns weniger, dass sie gut am PC waren, sondern dass sie vielmehr |133| die ›Leistungen‹, die wir online erbracht hatten, einigermaßen nachvollziehen konnten. Vor allem aber, dass sie bereit waren, Verständnis für diese Art des exzessiven Zeitvertreibs aufzubringen.
In der Community war es sehr wichtig, eine Freundin zu haben. Um den anderen zu zeigen, dass man nicht nur super spielen, sondern dass man ›es‹ auch im wirklichen Leben ›kann‹. Es gibt da einen Spruch: Was du nicht besiegen kannst, musst du kaputt flamen (beleidigen). Zur Erklärung: Wenn einer super spielte, gab es drei Reaktionen darauf. Ein echtes Kompliment: Hey, du bist super – das war sehr selten. Die ge»flamte« Reaktion, schon ziemlich abfällig: Hey, du bist super – hast du auch noch ein anderes Leben? Oder die volle Abfuhr: Sei stolz drauf! Hast ja sonst kein Leben!
Mit einer Freundin an der Seite war jedem klar, dass wir nicht nur Spitze spielten, sondern auch noch ein real life hatten.«
Escape
»Wir waren süchtig, wir waren abhängig, wir zeigten Entzugserscheinungen, und das alles über viele Jahre hinweg. Dann wurden wir 20 Jahre alt, und alles war vorüber. Die Spiele interessierten uns nicht mehr, wir hatten keinen Bock mehr darauf, nur noch vor dem PC zu hocken – Schluss, aus.«
Eigentlich hatte die Ablösung schon vor dem Abi angefangen, zumindest für Benedikt. Der wechselte, nach der freiwilligen Wiederholung der 12. Klasse, noch einmal die Schule, Benjamin machte Zivildienst. Das enge Miteinander der Zwillinge war vorüber. Beide aber spielten weiterhin im Netz, Benjamin nach wie vor in der Liga, Benedikt nur noch zum Spaß.
Benedikt: »Ich musste in eine neue Stadt und mir an der neuen Schule
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