gute freunde - boese freunde
wollte euch doch nur motivieren« – das kam bei uns leider nicht so an. Wie oft hörten wir, dass das Kind XY viel besser sei, dass selbst eine gute Note noch viel besser sein könnte oder dass wir bei schlechten Noten versagt hätten?
Kurze Zeit nach meinem Weggang zogen meine Eltern 160 Kilometer weit aufs Land. Alles, was ich fühlte, war Wehmut, weil unsere schöne Altbauwohnung aufgegeben wurde, Mitleid für meine Brüder, die alle drei mitziehen mussten (meine Schwester hatte sich längst selbstständig gemacht) und Erleichterung, weil sich meine Eltern von mir entfernten.
Von Zeit zu Zeit besuchte ich die Familie und erkannte schon bald, wie sehr sich die Bennis veränderten. Die beiden hatten schon immer ihre eigene Welt, ihre eigene Sprache gehabt, das hatte mir eigentlich immer imponiert. Sie hörten zum Beispiel mit fünf Jahren im Radio dauernd die Nachrichten, lernten mit acht alle Hauptstädte der Welt auswendig (wenn sie nicht schlafen konnten, fragten sie sich gegenseitig ab – die Weltkarte hing ja überm Bett) oder schliefen mit zehn neben dem Bett auf dem Boden, zur Abhärtung.
Jetzt aber stellte ich zu meinem Entsetzen fest, dass sich die Bennis überhaupt nicht mehr weiterentwickelten. Sie saßen nur noch in ihren Zimmern vor dem dröhnenden, flimmernden PC und waren auch für mich unerreichbar geworden. Ich stand vor der Tür, hörte das ständige Wummern und Plärren, und wenn ich die Tür öffnete, sah ich ihre Rücken und bekam ihr Desinteresse an mir demonstriert. Diese Arroganz machte mich aggressiv |139| und wütend, ich reagierte mit Unverständnis, konnte mit der Situation nichts anfangen. Auch mit dem Medium nicht – das typisch männlich-weibliche Nutzungsverhalten zeichnete sich auch bei uns ab: Die Jungs spielten, ich chattete und mailte.
Die Bennis spielten Egoshooter, Counter-Strike (= CS). Ich kannte dieses Spiel von meinem damaligen Freund. Er hatte »die Kleinen« ja sogar mal auf eine sogenannte LAN mitgenommen, damals waren sie noch relativ neu in dieser Welt. Kurze Zeit später zogen sie an meinem Freund vorbei und wurden besser, viel besser. Und verschwanden in der virtuellen Welt. Keine Partys, keine Mädchen, kein Alkohol, das alles spielte in ihrem Leben keine Rolle.
Irgendwann war ich nahe dran, die beiden abzuschreiben, was mir wehtat – sie waren so gescheit gewesen … Ich versuchte, mir einen Reim auf das Geschehen zu machen: Die beiden waren in München beliebt gewesen, hatten Freunde gehabt, hatten versucht, in ihrer neuen Heimat Erfolg zu haben, waren gescheitert und in eine Parallelwelt geflüchtet. Ein Teufelskreis.
Benedikt stand seit Beginn der Pubertät im Schatten seines »jüngeren« Bruders Benjamin. Er war ruhiger, besonnener, emotionaler, sensibler, selbstkritischer. Das Computerspiel verband die beiden und doch brachte es sie auch ein Stück auseinander. Eher so: Gemeinsam einsam.
Benjamin spielte aggressiv, spielte seine Wut aus über den Umzug, die Isolation, das Desinteresse der Eltern, die große Langeweile. Benedikt flüchtete in eine Welt, wo er anders sein durfte, in der er Anerkennung bekam für das, was er leistete. So wurden die Wege wirrer und meine Angst und mein Unverständnis immer größer.
|140| Ich erinnere mich an die gemeinsamen Essen zu Weihnachten oder Ostern. Sieben Familienmitglieder, wenig Platz am Esstisch, die Mutter stets angespannt und nervös. Die Bennis hauten nur schnell das Essen rein und waren nach kurzer Zeit wieder in ihren Zimmern zu den PCs verschwunden. Und wir anderen Kinder überlegten auch nur, wann wir wieder den Absprung machen konnten. Es war immer sehr ungemütlich.
Irgendwie hatte ich endgültig den Kontakt zu den Bennis verloren. Die Zwillinge waren kurz angebunden und zeigten kein Interesse mehr für Dinge außerhalb der Computerwelt, zu der ich nicht gehörte. Benjamin immerhin kam manchmal zum Übernachten zu mir, nach einer durchspielten LA N-Nacht . Benedikt dagegen zog sich ganz zurück. Später erfuhr ich, dass er lieber im kalten Auto schlief als bei mir zu klingeln. Eine gewisse Scham spielte wohl auch eine Rolle.
Er war es, der meiner Meinung nach den Absprung zuerst schaffte. Benedikt wechselte die Schule und konnte endlich er selber sein. Ohne Zwilling. Ohne Schattendasein. Er begann mit Leistungssport, interessierte sich für Kampfsporttechniken und entwickelte daraus eine Leidenschaft, die größer wurde als die für P C-Spiele . Durch den Kampfsport konnte er sich neu
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