gute freunde - boese freunde
übernachtet, und aus Spaß haben wir jede Menge Fotos von uns gemacht – im Pyjama im Schlafzimmer, ungeschminkt, in dummen Posen. Und plötzlich tauchen diese Fotos bei SchülerVZ auf! Nur die von mir, nicht die von meiner Freundin! Und darunter stand: Was für eine Schlampe! Ich habe mehrmals |121| Nachrichten an den Absender, den ich gar nicht persönlich kannte, geschickt, dass er die Fotos doch bitte rausnehmen solle. Ohne Erfolg. Das war eine schreckliche Beleidigung, die mir sehr auf die Psyche ging. Ich bin zur Lehrerin gegangen, und sie hat von diesem Typen verlangt: ›Du löschst das jetzt sofort!‹ Sie hat kontrolliert, ob er gehorchte, was er zum Glück machte. Mit meiner Freundin habe ich rekonstruiert, dass der Typ, als er mal bei ihr zu Besuch war, sich die Bilder selbst per Mail geschickt haben musste. Sie jedenfalls sagt, sie habe die Fotos niemals an ihn weitergegeben.«
Heute, nach ihrer Ausbildung zum »Medienscout«, sind Adriana und Franziska am Elsa-Brandström-Gymnasium in Oberhausen selbst Ansprechpartner für ihre Mitschüler geworden. Sie lotsen die anderen sicher durch das Internet, warnen vor versteckten Kostenfallen, vor leichtsinnig veröffentlichten Party-Bildern, Adressen oder gar Telefonnummern, und halten kleine Vorträge in den Klassen über die Melde- und Ignorierfunktion und den Hilfebutton.
Natürlich weisen sie und die anderen Scouts pflichtgemäß auch immer wieder auf die AGBs (Allgemeinen Geschäftsbedingungen) und das andere Kleingedruckte hin. Aber wie sagt Adriana selbst in Köln auf dem Podium: »AGBs mit ihrem Juristendeutsch, die sind doch nicht altersgerecht. Die liest doch keiner. Wichtiger ist es, das Bewusstsein zu schärfen.«
Und was ruft daraufhin bewundernd einer der – durchwegs wesentlich älteren – Experten der Talkrunde aus: »Ich glaube, die Generation von Adriana wird wesentlich schwerer zu betrügen sein als die unsrige! Die lernt Medienkompetenz genauso wie Lesen, Schreiben und Rechnen.« Und unten im Saal nicken die Erwachsenen zustimmend. Und erleichtert.
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elke reichart
Die Bennis: Ein Dreiteiler
|123| Teil Eins: Online-Sucht: Die Freunde warten im Netz
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Von einem Tag zum anderen war alles vorbei.
Benjamin und Benedikt, die Computer-Besessenen, die arroganten Zwillinge, die nur ab und zu und auch dann nur höchst widerstrebend für Schule und Familie ihren Platz am PC verließen, die merkwürdigen Nerds – auf einmal gab es die beiden nicht mehr.
Sechs Jahre lang verloren an eine Parallelwelt und nun wieder da.
Erstaunt nahm die Umwelt zur Kenntnis, dass die beiden jetzt auf Fragen Antworten gaben, sogar in einer verständlichen Sprache. Dass sie unter Menschen gingen, bei schönem Wetter ins Schwimmbad, dass sie sich Sportgruppen anschlossen, kurz: Dass sie sich plötzlich wie andere 1 9-Jährige benahmen. Ohne Vorankündigung.
»Ab sofort wurden die Geister, die wir gerufen hatten, von uns verlacht.« Benedikt schaut seinen Bruder Benjamin an, wie verwundert über das Fazit ihrer Teenagerzeit. »Wir hatten lange Zeit alle Symptome einer Sucht. Und mit einem Schlag war es dann vorüber.«
Auch Benjamin schaut zweifelnd, sucht in seinen Erinnerungen. Es gäbe nur eine Erklärung, sagen schließlich beide auf die Frage |124| nach dem Warum, und die habe mit Freundschaft zu tun. Mit den zunächst gefundenen und dann wieder verlorenen Freunden aus der virtuellen Welt. Und mit dem Finden von neuen Freunden, diesmal im real life.
Die Bennis heute: 25 Jahre alt, Benedikt eine Minute älter als Benjamin, Pädagogik-Studenten für das Lehramt, beide durchtrainiert, gut aussehend und gut gelaunt. Rhetorisch unglaublich fit – wahrscheinlich durch die ständige Übung des gegenseitigen Kommentierens. Kein Satz bleibt einfach so stehen; stets kommt vom Zwilling Zustimmung, Ablehnung, Ergänzung, ohne eine Sekunde des Nachdenkens. Hier wird die Theorie des Verstummens einer ganzen Generation vor dem Bildschirm ad absurdum geführt.
Start
Angefangen hatte das Abdriften der Zwillinge mit dem Umzug der Familie von München hinaus auf das Land. »Mit einem total verschobenen Umfeld«, wie die beiden es formulieren. Aus den selbstverständlichen Großstadtkids wurden die Außenseiter in der Pampa.
»Computer waren auch in München schon ein Thema gewesen, |125| nachmittags, mit unseren Freunden aus der Grundschule an Uralt-Rechnern. Aber nie lange – danach sind wir immer bald raus zum Fußballspielen oder in den
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