Gute Leute: Roman (German Edition)
Reserveoffizier Werner Heiselberg. Sieben von ihnen sind gefallen, einer verlor eine Hand und ein Bein, und der neunte verlor seinen Bruder, seine junge Frau und all sein Geld und brachte sich um. Von ihnen allen blieb nur mein Vater unversehrt. Und nicht einmal meine Mutter hat gewagt, diese Dinge vom Kaminsims zu entfernen. Aber du? Du hast nichts gesagt, doch nach zwei Tagen waren sie verschwunden.
Erlaube mir, dich an einen sonnenüberfluteten Morgen im Grunewald zu erinnern und an das strahlende Lachen auf deinem Gesicht, nachdem du wegen des Fahrpreises für die Stadtbahn verhandelt hattest und am Ende, dank deiner Zugehörigkeit zur NS-Volkswohlfahrt, nur den reduzierten Preis bezahlen musstest. Und dann die Sonntage im Eissalon am Olivaer Platz, wo du so gut Freund mit den Verkäufern warst, bis sie dir einen besonderen Eisbecher zubereiteten, in dem sie alle Geschmacksrichtungen vermischten, denn du wolltest herausfinden, welche von ihnen die dominante war, und auch mich zwangst du, von diesem Charivari zu kosten. Wie wundervoll du warst, und ich verfalle sogleich auf Rilkes Zeilen: ›Liebende, euch, ihr ineinander Genügten, frag ich nach uns. Ihr greift euch. Habt ihr Beweise?‹«
Eines Nachts, sie waren beide angetrunken, ließ er Weller an seinem Dilemma teilhaben, und der Freund zeigte sich verwundert: Warum schreibst du ihr nicht? Thomas schwieg, erklärte dann, sie hätten beschlossen, dass Klarissa so lange in seiner Wohnung bleiben könne, wie sie wolle, doch da man nicht wisse, wie lange er fort sein würde, gäbe es keinerlei Versprechen zwischen ihnen. Es stünde ihr frei, auch andere Männer zu sehen, mit einer Einschränkung: Kein anderer Mann dürfe seine Wohnung betreten. Er wolle sie nicht belasten, vielleicht gehöre ihr Herz längst einem anderen, aber insgeheim habe er doch erwartet, dass sie ihm schriebe. Weller ließ seine Einwände nicht gelten und sagte, er hätte sich nie vorstellen können, dass Thomas in Liebesdingen eine derartige Verzagtheit an den Tag legte.
»Den ersten Brief schreibt immer der Mann an die Frau, du bist es, der aus Berlin weggefahren ist, also verpflichtet dich dein Anstand, ihr zu schreiben. Wenn du von anderen Männern nichts wissen willst, dann frag nicht. Außerdem – aus meiner Erfahrung mit Frauen kann ich dir sagen, sie würde es dich schon wissen lassen.«
Häufig drängte Weller ihn in fürsorglichem Tonfall, sich hinzusetzen und zu schreiben, würzte seine Fragen mit Erinnerungen an die Zeit, da er um seine eigene Frau geworben hatte. Er schien wie berauscht und begann, Thomas Ratschläge zu erteilen: Er müsse aufgeschlossener für die kleinen Vergnügungen im Leben sein. Manchmal, und allein aus freundschaftlicher Sorge, wünschte er sich, Thomas’ Schreibtisch leer und verwaist zu sehen, zu hören, dass sein Freund zu einem netten Ausflug in die Natur aufgebrochen war, zu einem guten Essen oder einem Rendezvous mit einer Frau. Thomas’ Nicken legte er als Zustimmung aus und beeilte sich, weitere Fragen zu stellen: Warum hatte Thomas ihm nicht erzählt, dass er schon einmal verheiratet gewesen war? Niemals hatte er den Namen seiner Frau erwähnt. Und noch interessierter zeigte sich Weller an Thomas’ Mutter: Es gebe da eine kleine Sache, die ihm keine Ruhe lasse, und er hoffe nicht zu weit zu gehen, wenn er dieses Thema anschneide. Er verstehe, selbstverständlich, dass der Tod von Frau Heiselberg für Thomas eine Tragödie bedeute, doch sei nie davon die Rede gewesen, unter welchen Umständen seine Mutter gestorben sei. Thomas murmelte, er meine, die schwere Krankheit sehr wohl erwähnt zu haben, außerdem habe Weller doch selbst an der Trauerfeier teilgenommen, es könne also keine Rede davon sein, er habe irgendetwas verschwiegen.
»Ich hatte nicht die Absicht zu behaupten, du hättest etwas verschwiegen«, beeilte sich Weller zu erwidern, und sein Gesichtsausdruck gab Thomas zu verstehen, dass dessen Antwort ihn verwundert hatte. Dann fügte er hinzu, er wolle Thomas nur daran erinnern, dass er einen wahren Freund in ihm sehe und hoffe, dass auch Thomas ihm Vertrauen entgegenbringe, denn gute Freunde könnten einander auch in derlei Dingen helfen. Zu guter Letzt verkündete Thomas, er wolle Klarissa schreiben.
Zwei Tage schloss er sich in seinem Zimmer ein und schrieb, fasste sämtliche Phantasiebriefe zusammen, kürzte, wo immer möglich, feilte am Stil, wählte die prägnantesten Formulierungen aus.
Klarissas Antwort traf zwei
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