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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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Wochen später ein. Ihr Brief war nicht eben kurz, sechs Seiten, eng mit der Hand beschrieben, das Wesentliche jedoch fand sich auf den letzten beiden Seiten:
     
    Thomas, mein Lieber, du klammerst dich jetzt an mich, weil es im schrecklichen Warschau, weit weg von hier, keinen Heimathafen gibt, nicht wahr? (Vater schreit mit Karlchen. Der hat wieder den Geschichtslehrer verflucht. Vater sagt, dass er vielleicht nicht richtig bei Trost ist. Ich sehe gleich zu, dass ich von hier verschwinde und rauf in deine Wohnung komme.) Und um dich an mich zu klammern, machst du einen Sprung, vielleicht eine Art Glaubenssprung, wie ihn ein Teil des deutschen Volkes in den letzten Jahren getan hat, nur dass der deine einer im persönlichen Sinne ist. Man kann springen, aber man kann dabei fallen, nicht?
    Ich habe deinen Brief gelesen und ihn nicht so ganz verstanden. Findest du es sonderbar, dass der Adressatin deiner großen Liebeserklärung vieles nicht klar ist? Dir ist das alles verständlich, und das genau ist die Sache. Ich glaube, dass du aufgewühlt bist, dass dein Herz übervoll ist. Du liebst mich (Mutter brüllt Vater an, er soll Karlchen in Ruhe lassen. Wenn Vater nicht nachgibt, werde ich mich einmischen. In letzter Zeit hat er ein bisschen Angst vor der kleinen Klarissa, die ist kein Backfisch mehr), aber es ist eine in sich selbst kreisende Liebe.
    Vielleicht bin ich ja nur nicht in der Lage, deinen Glaubenssprung nachzuvollziehen, aber viel eher glaube ich: Deine Liebe ist hohl. Vielleicht ist es deine Bildung, die dich am Ende lehren wird zu lieben, aber wahrhaftig, ohne polierte Worte aus Warschau. Nur Angsthasen lieben aus der Ferne.
    Ich bin bereit zu dieser Reise und werde dir zur Seite stehen. Du bedeutest mir viel. Zuweilen liege ich nachts da, wie benommen vor Sehnsucht nach dir, dann wollen mir alle Männer, die mir nachstellen, wie Kinder erscheinen, wie Karlchen. Zu einem von ihnen habe ich gesagt: »Ich spreche mit dir und meine, du bist noch gar nicht geboren.« Er hat mich überheblich genannt, und ich habe entgegnet, ich bin stolz auf meine Überheblichkeit.
    (Vater sagt zu Mutter, der Lehrer habe festgestellt, dass Karlchen minderbemittelt sei. Mutter, ganz verzagt, zittert vor Angst: Wie sie es mit dem Sohn von Sammer gemacht haben? Den Sohn von Sammer haben sie kastriert. Vater sagt, seinen Jungen würden sie nicht anrühren, aber danach erzählt er, er habe schon mit einem Rechtsanwalt und einem Arzt gesprochen, die Karlchen vor Gericht vertreten sollen, wenn es zum Schlimmsten kommt.)
    Du hast Rilke zitiert, um mich zu beeindrucken, und das ist in Ordnung, alle hier zitieren ständig irgendetwas, aber auch dieses Zitat habe ich nicht verstanden. Welche Frage stellst du mir eigentlich? Fragst du mich oder dich selbst? Oder vielleicht die Liebe, die dich erst jetzt im fernen Warschau plötzlich überkommen hat?
    Thomas, mein Lieber, am Mittwoch hatte ich hier in der Wohnung Besuch von deinem Schulfreund, diesem Hermann Kritzinger. Sonnengebräunt, wie er war, sah er in seiner schneidigen schwarzen Uniform aus wie ein amerikanischer Filmstar. Ein lustiger Mann. Er kann dein Lachen sehr gut nachmachen. Behauptet, das sei kein echtes Lachen. Ich hab ihm erzählt, dass du in Polen bist, und er schien geradezu glücklich, sagte, das sei wirklich ein Zufall, er sei gekommen, um sich zu verabschieden, man habe ihn nach Polen versetzt. Ich habe ihm gesagt, ich möchte, dass ihr euch trefft, weil du dort einsam bist, und er hat versprochen, alles daranzusetzen, dich zu sehen. Das genügt nicht, habe ich gesagt, geben Sie mir Ihr Ehrenwort als SS-Offizier, dass Sie ein bisschen mit ihm ausgehen. Und er hat es mir gegeben!
    Ich konnte es mir nicht verkneifen, ich hoffe, du verübelst es mir nicht, ich hab ihn gefragt, welche Art Junge du warst. Gutaussehend? Voller Traurigkeit? Der Schwarm aller Mädchen? Er hat gesagt, du seiest hübsch gewesen, zuweilen traurig, und im Unterricht hätten dich nur Geld und Sprachen interessiert. Wieso hast du mir nie erzählt, dass du eine Begabung für Sprachen hast? Seit wann bist du so bescheiden? Hermann hat mir erzählt, du hättest eine beachtliche Fähigkeit, andere Sprachen nachzumachen. Er nannte es »eine seltene Imitationsgabe«. Da hab ich ihn wieder gerüffelt und gesagt, auf einen Freund dürfe er nicht neidisch sein. Worauf er sich entschuldigt hat, er wollte deine Fähigkeiten nicht herabsetzen. Und dann hat er angegeben und erzählt, in allen humanistischen

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