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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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Geschrei zu hören, »Wir lieben den Genossen Stalin! … Hat er uns eine prächtige Industrie gegeben oder nicht? Einen Preis hat er verliehen – und der Verband hat ihn beschlagnahmt. Eine Wohnung hat er gewährt – und der Nachbar und seine Schwester haben sich dort eingenistet. Die Gedichte hat er geliebt – und andere haben gesagt: Erst nach seinem Tod veröffentlichen. Die Preise hat er gesenkt – aber Anrechtscheine nicht verteilt. Die Straßen hat er repariert – (Chor:) Nur schade, dass man uns verbannt hat aus der Stadt.«
    Die kleinen Fenster in dem Gang waren zerbrochen. Es war empfindlich kalt.
    »Einen wirklich netten Schwank haben sie da geschrieben, die defätistischen Schriftsteller«, sagte Stjopa.
    »Ich verstehe nicht«, brüllte Stjopa-Podolski von der Bühne. »Ihr sprecht zu verklausuliert. Schreibt ein ehrliches und manierliches Geständnis, vielleicht organisiere ich euch dann einen Zwölfstädtebann anstatt Sibirien: Sind dieses Gedichte nun Sabotage oder nicht?«
    »›Sieben Mal habe ich an die Revolution geglaubt‹. Entscheiden Sie selbst, Abteilungsleiter.«
    »Eine fürwahr sabotierende Zeile. Sechs Mal hast du offenbar nicht an sie geglaubt.«
    »Lieber Himmel, wo ist Ihre Inspiration, Ihre Tiefe des Gedankens? Und vielleicht hat sich der Glaube nur vertieft? Genosse Abteilungsleiter, wir wollen einen Bann für eintausendvierhundertvierundsechzig Städte. Nach unseren Berechnungen kommt dabei Paris heraus.«
    »Erinnern Sie sich an Agranow?«, flüsterte Stjopa. Er stand dicht vor ihr, seine Lippen an ihr Ohr gedrückt. »Er gehörte zu meinen engsten Freunden. Wurde verhaftet und erschossen. Ich habe das sehr bedauert. Als Moltschanow verhaftet wurde, war klar, dass man umgehend auch mich verhaften würde. Doch die Zeit verging und nichts passierte. Aber offenbar ist mein Name in ihren Ermittlungen zur Sprache gekommen, und unser alter Freund Resnikow hat davon Wind bekommen, hat eine Gelegenheit gesehen und sie genutzt. Er ist nach Moskau gefahren und hat ›mein wahres Gesicht aufgedeckt‹. In unseren Tagen, Saschenka, ist das eine gute Methode, um voranzukommen. Er hat mich beschuldigt, noch immer an einer Durchführung der Pläne von Agranow und seinen Mitverschwörern zu arbeiten. Zwar haben wir uns damals gemeinsam einige der Beschuldigten vorgenommen, die später bei den großen Prozessen verurteilt wurden, und ich weiß nicht, ob Agranow tatsächlich Fehler gemacht hat – ich hatte den Eindruck, er sei vielleicht nicht besonders gewitzt, aber gewissenhaft und loyal, und ohnehin waren wir ja nur Arbeitskollegen. Nun gut, in Ordnung, wir haben uns auch einige Frauen geteilt. Aber es ist nicht nur Agranow: Resnikow hat noch weitere Anschuldigungen erfunden. Kurzum, ich kämpfe jetzt mit ihm auf Leben und Tod, und im Moment ist er im Vorteil.«
    »Niemand wird einer Kanaille wie Resnikow glauben«, sagte sie niedergeschlagen. »Ihre Freunde wissen doch, dass er ein Lügner ist.«
    »Ich habe bereits gehört, dass es eine Untersuchung geben wird. Die meisten meiner Freunde wissen noch nichts davon. Sobald die Sache bekannt wird, werden sie sich von mir abwenden, so wie wir es hier mit jedem gemacht haben, der in Schwierigkeiten geraten ist. Ich bin unschuldig«, sagte er traurig. »Von frühester Jugend an habe ich mein Schicksal mit der Revolution verknüpft, habe mit ganzem Herzen getan, worum man mich gebeten hat … Sei’s drum, die Zeit ist knapp. Bis Ende Februar werden Sie nach Westweißrussland versetzt werden. Ich kümmere mich darum, dass die Versetzung nicht überstürzt aussieht, man darf denen nicht das Gefühl geben, Sie hätten sich bei Nacht und Nebel davongemacht. Wir befördern Sie mit einem Fußtritt nach oben. Man braucht dort gewiefte Ermittler – in den letzten Monaten, nachdem wir Westweißrussland von den polnischen Hunden befreit hatten, hat sich herausgestellt, dass der Umfang der oppositionellen Organisationen dort gewaltig ist. Sie verstehen, es gibt keine andere Wahl. Sollte ich fallen, wird Resnikow auch Sie zu Fall bringen. Er arbeitet hart, und er wird die richtigen Argumente finden. Allein die Tatsache, dass ich Sie hier beschäftigt habe, wird ihm genügen. In Weißrussland werden Sie weit weg sein, werden sich auszeichnen. Sie verstehen es ja, sich auszuzeichnen, Sascha. Und Sie werden dort auch in der Lage sein, einen anderen starken Protektor zu finden. Ich weiß, welche Frage Sie quält, glauben Sie mir, schon seit geraumer

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