Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
Vom Netzwerk:
haben wir wie Ackergäule gearbeitet und ihn mit Wachs gebohnert.«
    »Gute Arbeit«, sagte sie und ließ sich kokett auf den Stuhl neben ihm gleiten.
    Stjopa wandte seinen Rücken dem Saal zu, der sich allmählich füllte und an dessen Stirnwand ein rot besticktes Laken hing:
1940
Gewaltige Erfolge
Harte Arbeit
Leuchtende Zukunft
    Er warf einen Blick auf ihren Verband. Die Botschaft war klar: Musstest du unbedingt heute Abend mit diesem Andenken an einen Zwischenfall auftauchen, an den sich niemand erinnern will? In seinen Augen sah sie die Zweifel: Vielleicht hatte er sie zu sehr geschätzt, vielleicht nicht begriffen, dass sie letztendlich nichts als eine verwöhnte Göre war? Und vielleicht war sie als anderer Mensch aus dem Urlaub zurückgekehrt?
    »Hat es Ihnen gefallen?«
    »Es war wundervoll, wir beide stehen in Ihrer Schuld. Am Ende habe ich mir noch eine kleine Infektion eingefangen und eine impertinente Ärztin dort bestand darauf, mich zu verbinden«, sagte sie, hob ihre bandagierte Hand und knickte sie in einer unbeschwerten Bewegung ab, um sich sogleich zu erinnern, dass es sich auch dabei um ein Erbteil handelte: Jedes Mal, wenn ihre Mutter andeuten wollte, dass etwas Wichtiges unwiederbringlich vorbei war, hob sie die Hand und ließ sie in schlaffer Bewegung über der Schulter abknicken, während ihre Finger in der Luft ein Do, Re, Mi klimperten.
    Seine Augen schauten voller Zuneigung auf sie. Ihre Antwort hatte ihn versöhnt. »Es haben sich bei Ihnen Hunderte von noch unfertigen Geständnissen angehäuft: Einige Häftlinge hier haben geschworen, Menschen ermordet zu haben, die noch am Leben und bei bester Gesundheit sind, oder sie wollen sich mit längst Verstorbenen verschworen haben, und das an Orten, die schon im achtzehnten Jahrhundert dem Erdboden gleichgemacht wurden. Alle oppositionellen Elemente schulden Ihnen Dank, Weißberg, dank Ihrer Arbeit haben wir hier im letzten Monat niemanden mehr verhaftet.«
    »Stepan Kristoporowitsch, morgen früh stehe ich Ihnen wieder zur Verfügung.«
    »Wissen Sie, Alexandra Andrejewna, das Gefühl der Schuld ist zu erwarten bei Menschen wie uns, ein listiger und verschlagener Teufel, gegen den man ankämpfen muss.«
    Für einen Moment verstand sie nicht, worauf er hinaus wollte, und erschrak dann: »Ich fühle mich nicht schuldig, in den letzten Monaten habe ich getan, was ich konnte, um …«
    »Gewiss, gewiss«, beeilte er sich, sie zu beruhigen, und seine schmalen Augenbrauen zogen sich zu einem Ausdruck der Bestürzung zusammen. »Sie haben hervorragende Arbeit geleistet. Im Gegenteil, es ist möglich, dass ein Schuldgefühl Ihnen zu schaffen macht, gerade weil Sie Ihr Volk vor den Umtrieben sabotierender, umstürzlerischer Elemente gerettet haben, die seine Moral brechen wollten. Zuweilen wird ein Mensch von Schuldgefühlen befallen, gerade weil er getan hat, was ihm auferlegt war, insbesondere, wenn Menschen in die Sache verwickelt sind, die ihm in der Vergangenheit nahestanden.«
    »Aber ich habe sie doch gerettet«, erwiderte sie mit belegter Stimme. »Ohne mich hätten sie noch schlimmere Verbrechen gestanden, wäre ihre Strafe härter ausgefallen. Sie selbst haben gesagt, ohne mich wäre Emma Rykowa hingerichtet worden, und andere auch.«
    »Gewiss, Alexandra Andrejewna, Sie haben denen einen großen Gefallen getan, auch wenn ein Teil dieser Intelligenzler das nicht begriffen hat.« Er tätschelte ihr mit väterlicher Geste die Wange. »Aber Schuld ist nichts Rationales, sondern ein verschlagener und verlogener Teufel, wie ich schon sagte. Manchmal überkommen mich Schuldgefühle, weil nach dem Mord an Kirow einige meiner engsten Freunde, unter ihnen mein direkter Vorgesetzter Medved, eine sträfliche Nachlässigkeit bei ihrer Behandlung der Opposition an den Tag legten, und ich gezwungen war, mich gegen sie zu stellen. In meinen Träumen klagen sie mich noch immer an.«
    Das Orchester begann, fröhliche Tanzmusik zu spielen, und aus den Lautsprechern dröhnte die Stimme des Leiters von Abteilung 1: »Liebe Genossen, Sie alle sind eingeladen, auf die Tanzfläche zu kommen.«
    »Mein Befinden ist sehr viel besser, und ich kann es kaum erwarten, an die Arbeit zurückzukehren. Aber in naher Zukunft möchte ich gern mit Ihnen reden.« Sie war selbst überrascht von dem herausfordernden Ton in ihrer Stimme.
    Hatte er die Gleichung verstanden? Ohne einen Fortschritt in der Frage der Zwillinge werde ich nicht länger hier arbeiten, von mir aus könnt

Weitere Kostenlose Bücher