Gute Leute: Roman (German Edition)
mir eine Ernennung zuteil geworden, die mit großer Verantwortung einhergeht. Klarissa, solange ich denken kann, habe ich allein für Thomas Heiselberg gearbeitet, das gestehe ich, um seine Macht in der Welt zu mehren und seinen Einfluss zu vergrößern. Doch in den letzten Tagen spüre ich eine Verantwortung neuer Art, eine Verantwortung gegenüber allen Menschen, ja, ich spreche von unzähligen Volksgenossen, deren Leben von dem Werk abhängt, das in meine Hände gelegt wurde. Ich muss alles tun, was in meiner Macht steht, damit diese Menschen nicht zu einem weiteren Fleck in der blutgesättigten Historie Europas werden. Mehr kann ich leider nicht sagen, doch bitte, glaube mir, es ist dies eine Arbeit, die dem guten Ruf Deutschlands dienen soll.
Du wirst sagen, dass ich größenwahnsinnig sei, dass ich so etwas nicht in der Hand habe; wirst sagen, dass ich mir wieder eine Geschichte über Thomas Heiselberg als strahlenden Helden ausdenke – und vielleicht hast du ja recht, teure Klarissa. Dennoch, all dies ist ohne Bedeutung. Meine Beweggründe – die offensichtlichen und geheimen – ändern nichts an der Tatsache, dass es Zeit ist zu handeln. Auch wenn meine Fähigkeit, Einfluss zu nehmen, verschwindend gering sein mag, ist mir die Verpflichtung auferlegt, sie bis zur Neige auszuschöpfen. In dieser Hinsicht wirst du mir beipflichten.
Gute Klarissa, von jetzt an wird sich alles verändern. Menschen werden in den Tod gerissen, während sie Zeitung lesen oder ihr Silberbesteck putzen, doch ich lausche aufmerksam der verrinnenden Zeit, und meine Schlussfolgerung lautet, dass uns jetzt die Verpflichtung auferlegt ist, unsere Träume ohne Aufschub zu verwirklichen. Eine Entscheidung ist in meinem Herzen gereift: An dem Tag, an dem ganz Deutschland meine Arbeit in ihrer Vollendung sehen wird, sollst du an meiner Seite stehen, denn deine Worte des Vertrauens in mich haben mich auch in den dunkelsten Stunden begleitet, und niemals wieder sollen wir getrennt sein.
Ein Bild flimmerte beim Schreiben in seiner Phantasie: Er steht im weißen Anzug auf dem Gipfel eines Berges, auf dem Kopf den gestreiften Hut, den er in Paris erworben hat. Neben ihm Klarissa im hellroten Kleid, ein Band im Haar und einen Sonnenschirm in der Hand. Zu ihren Füßen und bis zum Fluss im Osten erstreckt sich die Parade, Klarissa staunt über die Bewegung der Soldaten, die, anstatt den Tod zu säen, in eindrucksvollem Zeremoniell marschieren. Er erklärt ihr, wie sie die Choreographie des Marsches eingeübt haben. Eine weiße Schleppe von den Salutsalven, die die Artilleriegeschütze abgefeuert haben, kräuselt sich noch am blauen Himmel, Klarissa zeigt darauf, und ein goldener Schein umgibt ihren Finger. Der Himmel wird zu einem riesigen Spiegel, in dem ihre Gesichter hervortreten: Auf seinem Gesicht liegt eine Reinheit, wie er sie noch nie besessen hat, die Makellosigkeit eines Menschen, der einem edlen Ziel dient. Er sagt zu Klarissa: Siehst du, jetzt jubeln sie mir zu, und vor ein paar Monaten noch wollten sie mich lebend begraben. Klarissa führt ihre Lippen an sein Ohr, ihre Zunge flattert sanft darüber, ihre Stimme flüstert: Wie konntest du dir so etwas Dummes nur einbilden? Die Geschichte wird von wahrer Größe angezogen wie Metall von einem Magneten, vom ersten Augenblick an, da ich dich sah, Thomas Heiselberg, war mir klar, dass du ein großer Mensch bist.
***
Thomas saß in seinem Anzug – weinrotes Jackett und gestreifte Seidenkrawatte – in Frenzels Büro und berichtete ihm von seinen Eindrücken von der ersten Sitzung des Paradekomitees. Ihre Freundschaft war enger geworden: Frenzel war auf seine Hilfe angewiesen bei Fragen, die mit der Umsiedlung der Juden zusammenhingen. Genau genommen konnte Frenzel sein Glück kaum fassen, als er endlich begriff, dass hier bei ihm der Mann saß, der das »Modell des nationalen polnischen Menschen« ersonnen hatte. Verschiedene Stellen schickten ihre Fragen an die Vertretung des Modells in Warschau und warteten über einen Monat auf Antwort, während er den Urheber des Modells nach Herzenslust befragen konnte.
Es war klar, dass er Frenzel nach Kräften half. Beide bewahrten Stillschweigen darüber, da Dr. Weller in Warschau diese Verwendung des Modells sicher nicht gutgeheißen hätte. Nachdem Frenzel einige seiner vortrefflich formulierten Memoranden gelesen hatte, verging kein Tag, an dem Thomas nicht wenigstens eine Stunde in seinem Büro gesessen hätte. Wie zu erwarten,
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