Gute Leute: Roman (German Edition)
solche Idee würde von beiden Regierungen wohl kaum akzeptiert werden, und ohnehin wären weder die Einwohner von Berlin noch die von Moskau bereit, sich mit fremden Burschen in Uniform zu identifizieren, die noch immer als verhasst galten. Dann studierte er mit gelangweilter Miene das Positionspapier, als verspürte er nicht die geringste Lust, an der Sache mitzuwirken.
Sie sagte: »Unsere Aufgabe ist es, zündende Ideen vorzulegen und nicht zu entscheiden, ob sich diese umsetzen lassen oder nicht. Schließlich haben wir hier nicht Vertreter aller Waffengattungen der Armee sitzen. Das Komitee besteht nur aus uns beiden sowie den im Hintergrund assistierenden Regierungsstellen, weshalb ich vorschlage, dass wir unserer Phantasie freien Lauf lassen. Wir sollten Ideen für eine Parade entwickeln, die die Welt sprachlos machen und als eines der imposantesten Ereignisse des 20. Jahrhunderts in Erinnerung bleiben wird.«
»Schauen Sie«, antwortete er, »ich bin immer ein visionärer Mensch gewesen, habe in der Vergangenheit eine der größten Marktforschungsfirmen der Welt geleitet, habe mich mit Projekten befasst, die nach Esprit verlangten, aber dabei habe ich immer darauf geachtet, einen Plan zu verfolgen, der auch wirklich realisierbar war.«
Offenbar hatte er sich angewöhnt, solche überheblichen Sätze von sich zu geben, und merkte schon nicht mehr, wie er sich weniger mit gewesenen Erfolgen schmückte als in Erinnerung an diese zu trauern.
Sie antwortete behutsam: »Obgleich Sie eine kapitalistische Weltanschauung pflegen« – sie musste ihn von der Frage der Machbarkeit auf das Feld der Planung und Konzeption bringen –, »arbeiten Sie jetzt nicht im privaten Sektor, unsere Arbeit hier wird von anderen Kräften bestimmt. Vielleicht sollten wir die Sache aus einem anderen Blickwinkel betrachten: Unsere Aufgabe ist es, die Geschichte einer aufsehenerregenden Militärparade im Raum Brest im Frühjahr 1941 zu schreiben, und wenn wir an diese Geschichte glauben, werden vielleicht auch andere ihr Glauben schenken. Und selbst wenn nicht – kann uns irgendjemand den schöpferischen Akt als solchen nehmen?« Dies sagte sie zwar, um ihn auf die gewünschte Bahn zu lenken, doch einen Moment später gefiel ihr die Idee. In den Tagen in der Festung war ihr klargeworden, dass die Planung eines Großereignisses, das vielleicht in naher Zukunft stattfinden würde, eine der besten Beschäftigungen war, welche die jetzigen Zeiten zu bieten hatten.
»Das Ergebnis wird man uns sicherlich nehmen können, nicht aber die Zeit, die wir daran geglaubt haben«, konstatierte er.
Ihre letzten Worte hatten, allem Anschein nach, seine Phantasie nicht eben befeuert, doch je länger ihre Unterredung währte, desto präziser und detailreicher wurden seine Antworten: Die Parade müsse sich den Gebrauch falscher Gesten versagen, dürfe nicht auf den guten Willen der Menge zählen oder sich über einen zu großen Raum erstrecken.
Auch wenn sein resoluter Tonfall Beleg genug zu sein schien, dass er viel Zeit auf das Nachdenken über die Parade verwandt hatte, war ihr dennoch klar, dass ihm all diese Ideen erst in den letzten Minuten gekommen waren und er von vornherein vorgehabt hatte, die meisten ihrer Vorschläge abzulehnen.
Sie wies mit den Augen auf die Tabletts und schien sich ein Stück der golden überkrusteten Fleischpastete nehmen zu wollen. Doch dann unterbrach sie die Bewegung abrupt und ließ die Hand über ihre Hüfte streichen. Solange er sich nicht bediente, würde sie es auch nicht tun. In der Zwischenzeit erzählte sie ihm von Shatar, einem der reichsten Gutsbesitzer weit und breit, der einst jede Mahlzeit mit einem gebratenen und gefüllten Truthahn zu beschließen pflegte und von dem man sich erzählte, seine Körperfülle habe die des größten Mannes in Russland, des Zaren Alexander III., übertroffen! Bei einem Militärmanöver habe Shatar dem Pferd, das er bestieg, den Rücken gebrochen, worauf der Zar ihm auf die Schulter geklopft und gesagt habe: »Bravo, du hast mich besiegt.«
Ein Brummen von Motoren drang von draußen herein, und ihr zwischen dem Tisch und der Wand gefangener Körper wurde steif, bis ihr jede denkbare Bewegung schwerfällig erschien. Sicher war der Deutsche der eigentliche Grund dafür, aber wie konnte es sein, dass sein Einfluss auf sie so groß war?
Ihr war, als säßen sie schon Stunden dort. Und Monsieur Heiselberg? Der fuhrwerkte über das Positionspapier und strich einen Punkt
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