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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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Leichtes sein, diese Informationen zu liefern.«
    Als er die Treppe hinabstieg und die Grüße der Offiziere herzlich erwiderte, von denen er bis vor kurzem keines Blickes gewürdigt worden war, spürte er im Hals ein eisiges Zittern. Sein ganzes Handeln in den letzten Tagen schien ihm von dem allwissenden Blick der Genossin Weißberg verfolgt, diesem Blick, der für Thomas’ jämmerliche Bemühungen, sich seinem Bann zu entziehen, nur Spott übrig hatte. Er war nicht bei seinem ersten Entschluss geblieben, mit ihr zusammenzuarbeiten, ja, er legte es jetzt sogar darauf an, sie aus der Planungskommission entfernen zu lassen, doch ein Gefühl für die Schändlichkeit seines Tun begleitete ihn: Hätte er geglaubt, sie sei nicht der geeignete Mensch für diese Aufgabe, wäre es ein Leichtes gewesen, aber er wusste sehr wohl, dass sie durchaus befähigt war, dieses Projekt gemeinsam mit ihm durchzuführen. Nachts, wenn er im Bett lag, versuchte er, eine gewisse Logik in seinem Vorgehen zu finden – vielleicht gab es auf der Welt Menschen, denen man einfach nicht begegnen durfte? Doch die Idee klang ihm wie eine dieser haltlosen Behauptungen, gedacht, stupide Taten mit irgendeiner Weltanschauung zu begründen. »Ich habe keinerlei Anschauung von der Welt«, hatte er sich einmal gebrüstet, »ich habe eine Anschauung von dem Projekt, mit dem ich gerade beschäftigt bin.«
    Im Gegenzug für die Hilfe, die er Frenzel gewährte, bat er ihn, bezüglich der Jüdin den Druck auf das Auswärtige Amt zu erhöhen. Wenn sie dort erst einmal kapierten, dass man bei der Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße von dem Fall Kenntnis hatte, würden sie vielleicht rigoroser vorgehen.
    Doch vom Auswärtigen Amt erhielt er auf seine Eingabe nicht einmal eine Antwort, und auf Nachfragen herrschte ihn irgendein Beamter an: »Wir werden uns wegen dieser Jüdin ganz gewiss nicht an die Sowjets wenden. Schließlich war der sowjetische General, der 1939 zusammen mit Guderian die Parade abgenommen hat, auch Jude. Das Auswärtige Amt ist ein Haus professioneller Diplomaten, nicht dahergelaufener Flegel.«
    Eines Tages teilte ihm Frenzel mit, er werde in Kürze einen Umschlag mit dem umfassendsten Material erhalten, das die Gestapo habe beschaffen können. »Und glaub mir, nachdem du das gelesen hast, wird es an deiner Jüdin keine weißen Flecken mehr geben.«

Brest, März 1941
    Niemand verstand, warum sie von solcher Rastlosigkeit befallen war, warum sie auf die Straße hastete, schwer atmend in schneebedecktem Mantel wieder ins Büro zurückkehrte, abermals durch die Straßen eilte, die zum Fluss hinabführten, und mit Papierrollen unter dem Arm wieder ins Büro kam, ganze Tage in dem neuen Archiv verbrachte, sich einen Wagen besorgte und eine Erkundungsfahrt in die Umgebung der Stadt unternahm, bei der Post selbst die Bücherpakete abholte, die aus Leningrad und Moskau für sie eingetroffen waren, ja sogar von der Botschaft in Berlin.
    Zunächst würde sie eine neue Karte von Brest anfertigen. Diese Karte würde ihnen bei ihrer Arbeit dienen, und jede Straße darauf würde eine Nummer bekommen. Doch die Nummerierung würde nicht bloß geographischen Kriterien folgen, sondern ihre Grundsätze widerspiegeln: Zum Beispiel würde die Straße des 17. September, an der man die kleine Empore errichtet hatte, auf der Guderian und Kriwoschein im September 1939 standen, die Straße mit der Nummer 1 sein, während der Moskauer Boulevard, der sie kreuzte, die Nummer 2 erhalten würde. Alle anderen Straßen, die auf dem besten Stadtplan, den sie hatte auftreiben können, noch ihre ursprünglichen Namen trugen – wie Dluga, Krótka oder 3. Mai –, würden entsprechend ihrer Nähe zu einer der zentralen Straßen oder ihrer Eignung, eine große Menschenmenge aufzunehmen, auf der neuen Karte durchnummeriert werden. Auch Straßen, an die sie sich vom Sommer her erinnerte, versah sie mit einer Nummer: Einmal hatte sie an der Kreuzung der Spitalna und der Kobryn gestanden und auf den Fluss geblickt, und ein vorbeifahrender Wagen war ihr wie von einer goldenen Aureole umhüllt erschienen. Wenn die Menge sich dort früh am Morgen drängen würde, mit dem Gesicht nach Osten, würde sie die Parade direkt aus der Sonne auf sich zufluten sehen, was gewiss ein phantastischer Anblick wäre. Und da vor dem Mittag die Sonne insbesondere das Stadtzentrum vorteilhaft beleuchtete, würde die Parade dem Lauf der Sonne folgen. Außerdem dürfte man den Aufmarsch nicht

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