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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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Kavaliere kamen zu ihnen und luden sie auf einen Drink ein. Shenja bat um eine Flasche Château d’Yquem. Die Herren wirkten konsterniert.
    »Das klingt wirklich teuer«, sagte Sascha.
    »Sei unbesorgt«, lachte Shenja. »Kostja hat hier Kredit.«
    Shenja plapperte etwas über französische Weine, füllte immer wieder Saschas Glas auf und riet ihr, »viel zu trinken, um sich von all dem Schlechten, das uns widerfährt, zu lösen«. Sascha folgte mit den Augen einem jungen, gut aussehenden Mann, der allein an eine Wand gelehnt stand. Shenja eröffnete ihr sogleich, sie kenne ihn, sein Name sei Aljoscha, er habe irgendeine Stelle an der Botschaft in Japan bekleidet und sei erst vor einigen Tagen zurückgekehrt.
    »Willst du?«, fragte Shenja unvermittelt und umarmte sie.
    »Jetzt?« Sascha zögerte, doch die energische Bewegung zwang sie, aufzustehen und hinter ihrer Freundin herzustolpern. Sie blieben vor ihm stehen, verbeugten sich und sagten ihren Vers auf:
    »Junger Prinz / bist weder Kunz noch Hinz. / Der Prinzessinnen zweie / wähle auf Wohl und Gedeihe: / Die eine für das Schloss bestimmt / die andere in die Hölle kimmt.«
    Aljoscha wählte Sascha, worauf Shenja sich mit Trippelschritten entfernte und verkündete: »Zweiundachtzig zu vierundsiebzig.« In diesem Jahr hatten sie den zehnten Jahrestag ihres Wettstreits begangen.
    Der junge Mann führte sie zur Mitte der Tanzfläche. Das Quartett auf der Bühne spielte eine Rumba. Er tanzte gut, Schritt-Gleiten, Schritt-Gleiten, und die Harmonie ihrer Bewegungen war wundervoll. Fast ließ sie sich schon von seinen leicht geöffneten Lippen verführen, als ihr mit einem Mal eine Art Staubwolke bewusst wurde, die ihren Körper umgab. Alle ringsum sahen sie, nur er nicht. Er war ihr zu nahe. Ihre Bewegungen wurden bleiern, die lüsterne Leichtigkeit, die sie eben noch verspürt hatte, verflog, ihr Körper versteifte sich. Es genügte schon, dass Aljoscha nur schnell zur Toilette ging, und einer seiner Kumpanen würde ihm ins Ohr flüstern: »Das ist Alexandra Andrejewna Weißberg. Hast du heute noch keine Zeitung gelesen?«
    Über seine Schulter traf ihr Blick auf eine Frau, die ihren Tanz beobachtete.
    »Das ist meine Frau«, flüsterte Aljoscha, vielleicht bedauernd. Neben ihr standen zwei ihrer Freundinnen, und alle drei hatten die Köpfe zusammengesteckt und flüsterten miteinander. Die Ehefrau lauschte und nach und nach straffte sich ihre Haltung. Ihr Blick – amüsiert – schien zu sagen: Tanz mit ihm, Teuerste, ich leihe dir meinen Mann gerne aus, denn unter uns – wie viele Tänze bleiben dir noch?
    Sie spürte ein Stechen in den Schläfen, wie es ihrer Mutter zuweilen widerfuhr. Jetzt verstand sie auch deren Verhalten ein paar Stunden zuvor: Das Ganze war ein Klagelied gewesen. Als sehnte sie sich danach, ihren Mann zu schütteln und zu schreien: Habe ich denn nichts Besseres verdient?
    Um sich herum sah sie Grobmann aus ihrer Schule, sah die Kulissenbildnerin aus dem Theater, hörte das ausgelassene Lachen aus dem Gewölbe der Stutzer vom Außenhandelsministerium – bestimmt fragen sich alle, wie sie es hatte wagen können, heute Abend herzukommen. Ihr verzweifelter Blick suchte nach Shenja, die sogleich verstand, dass ihre Freundin ihre Hilfe benötigte.
    Sie erwachte in ihrem Bett, noch benommen vom Wein, streckte sich und stellte die Füße an die Wand. Plötzlich hörte sie einen Schmerzensschrei aus dem Zimmer der Zwillinge. Sie lauschte, ohne sich zu rühren. Abermals war ein Schrei zu hören, diesmal noch schriller. Sie wollte rufen: Mama, wo bist du? Hörst du nicht, dass sie schon wieder schreien? Aber sie wusste, dass ihre Stimme ihr nicht gehorchen würde.
    Sie stand auf und stürmte die Treppe hinauf, stürzte in das Zimmer der Jungs. Wladas Zimmerhälfte war leer. Sie blieb in dem engen Raum zwischen hölzerner Abtrennung und Zimmerwand stehen. Kolja lag zusammengekauert in seinem Bett und Wlada stand neben ihm, in Schuluniform.
    »Kolja.«
    Er reagierte nicht.
    Sie wandte sich mit drohendem Blick Wlada zu, der sich sogleich verteidigte: »Dieses Wickelkind will nicht aufstehen. Ich habe ihm gesagt, dass wir heute in die Schule müssen.« Das triumphierende Lächeln, das seine rosigen Wangen wie kleine Äpfelchen aussehen ließ, brachte ihr ein Bild von früher in Erinnerung: Wlada als Säugling in ihren Armen, sie küsst seine Wangen und ruft: »Mama, das ist unglaublich, er hat pfirsichfarbene Bäckchen.« Als er

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