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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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älter wurde und verlangte, man solle ihn wie einen Erwachsenen behandeln, fing er an, sein Gesicht regelmäßig mit kaltem Wasser zu waschen, um die rosige Färbung zu vertreiben.
    Ihnen beiden war klar, dass er recht hatte. Sie atmete tief durch, und ihr Ärger richtete sich mit einem Mal gegen Kolja, diesen kleinen verwöhnten Bengel, der nicht begriff, dass sie sich heute in der Schule zeigen und so tun müssten, als wäre nichts geschehen.
    »Zieh dich sofort an!«, befahl sie.
    Kolja setzte sich im Bett auf. Jetzt bemerkte sie, dass sein Gesicht, dessen »engelgleiche Schönheit« ihre Mutter immer rühmte, von kleinen Pickeln übersät war.
    »Ja, zieh dich endlich an, du Baby! Mama macht dir dein Breichen«, rief Wlada.
    Die Selbstgefälligkeit in seiner Stimme widerte sie an. »Du hältst gefälligst den Mund …«, zischte sie.
    Kolja begann sich anzuziehen.
    Sie verließ das Zimmer, und Wlada kam ihr nachgeeilt: »Hast du’s schon geklärt?«, fragte er.
    »Noch nicht«, antwortete sie und wandte sich von ihm ab.
    Wlada packte ihre Hand. »Noch eine Woche, höchstens zwei, und sie werden nicht mehr hier sein.« Sie spürte den in seinem Flüstern eingekapselten Pfeil. »Du musst klären, ob du an uns Mutterstelle vertreten kannst, frag deinen Freund vom NKWD, sonst enden wir in einem Waisenhaus oder im Gefängnis.«
    Sie lauschte auf das Klappern der Tassen und das Rauschen des Wassers, jedes vertraute Geräusch klang jetzt kostbar, wie die Stimme ihrer Mutter, die sich hob und senkte: »Wla-da, Kol-ja, Gesicht waschen und sofort herunterkommen, ihr seid spät dran.«
    Wlada lehnte sich gegen die vergilbte Tapete und schaute zur Decke: »Erinnerst du dich an Benua, den Biologen, Papas Freund? Ihn und seine Frau haben sie 35 nach Sartov in die Verbannung geschickt und danach in ein Arbeitslager. Ihre Kinder hat man in ein Waisenhaus gesteckt. Es gab Verwandte, die sie zu sich nehmen wollten, aber es wurde entschieden, dass sie auch verdächtig seien, und am Ende wurden sie ebenfalls verhaftet.«
    Er schaute sie mit gespannter Erwartung an. Immer hatte er die Clique ihrer Eltern verabscheut, hatte Verachtung empfunden für all diese »spießigen Dichter, die sich nur beklagen, anstatt zu arbeiten«. Er glaubte wirklich und wahrhaftig, ihr Vater habe nicht genug für die Revolution getan, habe die Erfolge der Partei nie ausreichend gewürdigt, habe seine Kinder nicht im rechten Geist erzogen und sich mit schädlichen Elementen eingelassen. Wie Sascha merkte er, dass Kolja und er in Gefahr schwebten – wegen der Vergehen ihres Vaters und der Ignoranz ihrer Mutter –, und war überzeugt, dass, hätte man nur auf seine Warnungen gehört, dies alles nicht geschehen wäre. Und jetzt, da seine Haltung endlich die Beachtung erfahren hatte, die sie verdiente, stand die Bedrohung vor der Tür, bestand die reale Gefahr, dass es ihn schon bald in ein Waisenhaus oder Arbeitslager verschlagen und er keine Zukunft in diesem Land haben würde.
    Wlada ist Sieger und Opfer zugleich, durchfuhr es Sascha, und ein schadenfrohes Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Sogleich vertrieb sie es, beschämt über ihre Rachsucht.
    »Kinder …«, ließ sich abermals die Stimme der Mutter vernehmen.
    »Ich sage dir, du musst das rasch klären!« Er schaute sie an, als wollte er wissen, ob seine leichtsinnige Schwester – die in den letzten Nächten zu allen möglichen Lustbarkeiten verschwunden war – die Größe der Verantwortung begriff. »Schließlich hast du doch Kolja lieb«, flüstert er.
    Wie erniedrigend die Erkenntnis für ihn sein musste, dass sein Schicksal ausgerechnet in den Händen seiner Schwester lag, der »faulen Dichterprinzessin«, für die keine Arbeit auf Dauer gut genug war: Drei Monate hatte sie in der Bücherei gearbeitet, danach hatte sie Zeichnungen in einem Architektenbüro kopiert, hatte sämtliche Fragebögen und Zulassungspapiere für diese Stelle ausgefüllt – und war gegangen. An der Universität sich einzuschreiben hatte sie im vergangenen Jahr abgelehnt, weil sie nur zusammen mit Shenja studieren wollte, und im Sommer hatte sie den ganzen Tag in Varlamows Garten vertrödelt und zwanzig Kopeken für angebliche Gärtnerarbeiten verdient.
    »Wlada«, rief ihre Mutter. »Nicht streiten.«
    Er drehte sich abrupt um und kehrte in seine Zimmerhälfte zurück.
    In der Küche blieb Sascha hinter ihrer Mutter stehen. »Wo ist Papa?«, fragte sie.
    »Im Bett. Er stellt sich vor, er läge in Dagestan

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