Gute Leute: Roman (German Edition)
Gedichte gelesen, in denen sie die Führer der Partei verunglimpft?«
»Kann mich nicht erinnern«, erwiderte Emma ungehalten. »Ständig hat sie irgendwelchen Unsinn vorgelesen, niemand hat ihr mehr zugehört, außer deinem Vater und Brodski, die verliebt in sie waren und nicht das Geringste von Lyrik verstanden haben. Sie hatte ihren persönlichen Zauber, zweifellos …«
»Dann warst auch du von ihr verzaubert?«
»Ganz und gar nicht«, zischte Emma. »Sie hatte so eine fieberhafte Rastlosigkeit, immerzu sprudelte sie über vor Entdeckungen, Plänen und Ansichten. Schwache Männer liebten sie, aber Varlamow, zum Beispiel, konnte sie nicht ertragen, vom Charakter her waren sie so gegensätzlich wie Turgenjew und Tolstoi.«
»Und du, Emma Fjodorowna …«
»Mir war sie vor allem eine Last«, seufzte Emma. »Sie schlief bei mir im Zimmer, und jede Nacht hat sie mich mit Geschichten über die Nöte anderer Menschen gequält.«
»Warum hat sie das Gedicht über Stalin geschrieben? Brodski und noch einige andere haben gestanden, das sei die Stimmung in der Gruppe gewesen«, sagte Sascha und dachte an Stepan Kristoporowitschs Order: »Mach es, wie Lenin gesagt hat: Lerne zu handeln … mit Menschen.«
»Du kennst doch die Antwort, sie wollte Aufmerksamkeit. Von deinem Vater, von Lewajew, von Brodski und von all den Männern, die sie verehrten. Irgendwann hat sie begriffen, dass irgendeine furchtbare Geschichte ihre Verse aufwerten muss, und hat versucht, sie mit dem Beigeschmack einer Tragödie zu versehen.«
»Hat sie dir das gesagt?«
»Ich habe es ihr gesagt.«
»Dann behauptest du also, dass Nadjeschda Petrowna keine Volksfeindin ist?«
»Natürlich kann sie in den Augen aller möglichen Bürokraten als Feindin gelten. Aber ihre Ziele hatten immer und ausschließlich nur mit ihr selbst zu tun. Sie beabsichtigte nichts, und nichts interessierte sie, außer dass man sie verehrte, dass es hieße, sie sei ein Genie. Sie hat davon geträumt, eines Tages ein Heer von Verehrern zu haben, Gratifikationen zu erhalten und vor allen Dingen eine Wohnung wie die von Varlamow zugeteilt zu bekommen. Ständig hat sie genörgelt: Wir leben zusammengequetscht wie die Gurken im Glas, vier in einem Zimmer, acht in einer Wohnung, strickende Großmütterchen, Pechsuppe kochende Tanten, onanierende Bengel, heulende Säuglinge – und dieser Kirschenpoet schaukelt in einer Hängematte in seinem schönen Garten.«
»Wäre es in deinem Sinn, dass dein Geständnis mit der Geschichte des Treffens im Jahre 1928 beginnt? Du bist dort Menschen begegnet, von denen sich heute mit Gewissheit sagen lässt, dass sie sich aller Verantwortung für eine wertvolle Kunst entledigt hatten. Wir haben Malewitsch erwähnt, Charms, Wwedenski, und wir wissen, dass auch Narbut dort gewesen ist – du warst damals eine verwirrte junge Frau, und allem Anschein nach haben dich diese Männer sehr beeinflusst.«
Emma sah sie grimmig an. »Du kleine Mücke, ich habe dir bereits gesagt, dass ich mich keines Vergehens schuldig gemacht habe.«
»Schau, Emma Fjodorowna, im Moment behandelt man dich noch auf kultivierte, fürsorgliche Art, aber in deiner Akte findet sich genug Material, um dich vor Gericht zu stellen. Sie können dich zwingen zu gestehen, mit allen möglichen Mitteln, und am Ende wirst du ein Geständnis schreiben. Alle schreiben am Ende ein Geständnis.«
Emma war der heftige Wunsch anzumerken, ausfallend zu werden, aber nach kurzem Kampf entschied sie sich zu schweigen. Sascha unterdrückte ein Lachen. Wie leicht es ist, mit den Schwächen eines Menschen zu spielen, die eine Sache zu finden, an der er hängt, die er auf keinen Fall bereit ist zu verlieren. Stjopa begeisterte sich für diese Fähigkeit so sehr, dass er sie einmal in der Woche in sein Büro bestellte, die Namen einiger der zuletzt Vernommenen nannte und nach ihnen fragte: »Marschakow, zum Beispiel, er war wirklich ein harter Knochen, wie hast du ihn dazu gebracht, sein Geständnis zu überarbeiten?«
Sie pflegte fröhlich zu antworten: »Ich habe ihn zum Weinen gebracht. Wir haben zusammen geweint, bis wir zu dem Schluss gekommen sind, dass die Partei versagt hat, dass alles verloren ist und nicht ein Funken Hoffnung mehr besteht. Unsere letzte Mission muss es sein, einen Bürgerkrieg der verbitterten Massen zu verhindern, und zu diesem Zweck ist die Regierung auf die öffentlichen Geständnisse der Führer der Opposition angewiesen.«
Er lobte sie wie ein stolzer
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