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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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Und jetzt half sie ihnen auch noch, brauchbare Geständnisse zu verfassen und ehrliche Reue zum Ausdruck zu bringen, um einen Strafnachlass für sie zu erwirken.
    »Hättest du das auch mit deinen Eltern gemacht?«, fragte Emma, die es noch nie vermocht hatte, ihre Neugierde zu unterdrücken.
    »Gewiss«, erwiderte Alexandra. »Wäre ich schon hier gewesen, als sie vernommen wurden, hätte ich ihnen helfen können, ein Geständnis abzulegen und vielleicht das Arbeitslager zu umgehen.«
    »Ich werde kein Geständnis aufsetzen. Ich habe mir nichts vorzuwerfen«, hatte die Beschuldigte verkündet.
    »Verständlich, dass es in der Frage der Schuld verschiedene Auffassungen gibt«, hatte Sascha mit der Standardformulierung geantwortet. »Es kann durchaus sein, dass du die Bedeutung deiner Taten nicht richtig eingeschätzt hast, aber objektiv gesehen hast du dich konterrevolutionärer Umtriebe schuldig gemacht. Ich habe das Vernehmungsprotokoll gelesen. Du leugnest deine Taten ja nicht.«
    »Ich leugne nichts, und ich habe nichts getan«, sagte Emma.
    »Schön, dann lass uns gemeinsam die Dinge aufschreiben, die du nicht getan hast. Niemand will, dass du auch nur ein Wort zu Papier bringst, das nicht der Wahrheit entspricht.«
    »Ich werde kein Geständnis schreiben! Es gibt Lügen, die ich nicht einmal vor einer kleinen Hochstaplerin wie dir ausspreche.«
    »Emma Fjodorowna, womöglich reden wir zu sehr in Verallgemeinerungen. Wenn wir uns auf die Einzelheiten konzentrieren, vielleicht kommen wir dann weiter.«
    »Wir können über alles reden, was du willst«, erwiderte Emma. »Solange uns beiden klar ist, dass ich mich in nichts schuldig gemacht habe.«
    »Ich erkenne als Ausgangspunkt, an dem du begonnen hast, von den Prinzipien der Partei abzuweichen, das Jahr 1928. Du hast damals an einem Treffen der avantgardistischen Künstlervereinigung OBERIU im Institut für Kunstgeschichte teilgenommen. Wen hast du dort getroffen?«
    Emma zog an ihren Fingern, bis die Gelenke knackten. »Du hast doch das Protokoll gelesen. Müssen wir das noch mal durchkauen?«
    Alexandra antwortete nicht. Sie zündete sich eine Zigarette an, drehte den Kopf zur Seite, um Emma den Rauch nicht ins Gesicht zu blasen, und betrachtete das Profil der Dichterin im Spiegel an der Schranktür. Mitunter bediente sie sich dieses Tricks. Sie hatte von den Kollegen gelernt, dass ein Mensch unruhig wird, wenn er durch einen Spiegel betrachtet wird. Die Beschuldigten schauten den Ermittler weiter unverwandt an, spürten jedoch, dass jetzt noch ein weiteres Auge aus einem neuen Winkel auf sie gerichtet war und sie auch vor diesem die Fassade wahren mussten. Zumeist präzisierten sie dann ihre Antworten: Ein gelangweilter Vernehmungsbeamter war gefährlicher als einer, dessen Neugierde möglichst bald befriedigt wäre.
    »Charms war dort, Wwedenski, Sabolozki und noch ein paar, an die ich mich nicht erinnere …«
    »Ich war ein wenig überrascht, dass du Malewitsch unterschlagen hast.« Alexandra wandte ihr den Kopf wieder zu. »Kaum ist der Mensch tot, schon tilgt man ihn aus dem Gedächtnis?«
    »Er war auch dort«, sagte Emma tonlos.
    »Würdest du sagen, dass Malewitsch der Linie der Partei treu war?«
    »Meiner Meinung nach wollte er es sein. Er schlug eine Überarbeitung des sozialistischen Realismus vor, den visuellen Realismus.«
    »Emma Fjodorowna, Malewitsch war Mystiker, und du hast dich stark von seiner Kunst beeinflussen lassen.«
    »Um die Wahrheit zu sagen, es widert mich an, eine wie dich diesen Namen auch nur aussprechen zu hören, und was den künstlerischen Einfluss betrifft, so haben mich andere Dinge beeinflusst.«
    »Hast du Charms verehrt?«
    »Ich habe so eine Angewohnheit, große Künstler zu verehren.«
    »War Chagall bei dem Treffen zugegen?«
    »Natürlich nicht!«, fuhr Emma auf, ihre Wangen röteten sich, und mit einem Mal wirkte sie vital und kampfeslustig. »Keiner von uns mochte ihn. Er ist schlechterdings Dreck, eine Null, die auf Malewitsch eifersüchtig war wegen Witebsk: Es war nicht Malewitschs Schuld, dass alle Schüler Chagalls zu ihm übergelaufen sind.«
    »Du hegst Verehrung für große Künstler. Hast du auch Nadjeschda Petrowna verehrt?«
    »Du kennst doch die Antwort. Nadja ist nie eine große Dichterin gewesen. Ihre Lyrik hatte keinerlei eigenen Charakter. Sie hat von jedem ein bisschen gestohlen, man kann von ihr sagen, dass sie das Beste aus der Genialität anderer zusammengerührt hat.«
    »Hast du die

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