Gute-Nacht-Geschichten vom kleinen Apfelbäumchen
Vergnügen.
„Auch wenn Du jetzt ein Blatt hat, das aussieht wie die von Apfelbäumen“, sagte eine laute, tiefe Stimme, „bist du noch lange kein richtiger Baum. Selbst die Grashalme sind ja noch größer. Du musst noch viele Sommer und Winter überstehen, bevor du dich Apfelbaum nennen darfst.“
„Wer bist du denn?“, fragte der kleine Apfelbaum in die Richtung, aus der die Stimme kam.
„Ich bin ein Ahornbaum und schon mehr als 20 Jahre alt“, antwortete er.
Der kleine Apfelbaum schmollte. Immerhin hatte er schon drei schöne Blätter und dieser Ahorn wollte ihn einfach nicht als Baum akzeptieren. Mit dem würde er nie wieder ein Wort reden. Nun reden Bäume und Sträucher ohnehin sehr selten. So fiel es auch nicht auf, dass er nicht mehr mit dem Ahorn sprach. Bald schon freute sich der kleine Apfelbaum über die kleine grüne Spitze, die sein viertes Blatt ankündigte.
Doch eines Nachmittags hörte er etwas, was seine ganze Aufmerksamkeit beanspruchte: Ein Schlürfen. Als das Geräusch näher kam, bemerkte er eine leise Stimme, die lispelte: „Ich sssuche frisssche Triebe!“
Dem kleinen Apfelbaum war nicht wohl dabei.
„Was ist das?“, fragte er die Hagebutte.
„Ach, nichts weiter. Das ist nur eine Schnecke. Von uns Bäumen und Sträuchern will sie nichts. Wir sind ihr zu holzig, und wenn sie wirklich mal ein Blatt abfrisst, ist das auch nicht schlimm“, antwortete der dornige Strauch. „Du hörst es ja. Sie sucht nach jungen frischen Trieben, so wie...“, worauf die Hagebutte plötzlich verstummte. Leise flüsterte sie:
„So wie DU! Du bist noch zart und saftig. An deiner Stelle wäre ich jetzt ganz leise. Vielleicht kriecht sie vorbei und bemerkt dich nicht.“
Doch es war schon zu spät. Die Schnecke hatte den kleinen Apfelbaum mit seinen zarten grünen Blättern bereits entdeckt.
„Wasss sssehe ich den da?“, zischte sie, „einen sssaftigen Trieb und zzzarte grüne Blätter! Da werde ich ja den ganzzzen Tag sssat.“
Die Schnecke kam langsam, aber stetig näher. Der kleine Apfelbaum überlegte, wie er dem gefräßigen Tier entkommen könnte. Doch er war fest in der Erde verwurzelt und Füße hatte er auch nicht. Weglaufen kam deshalb nicht in Frage. So sehr sich der kleine Baum auch anstrengte, es fiel ihm einfach nichts ein. So versuchte er die Schnecke zu überreden.
„Warum willst du mich aufessen. Wenn du von jeder Pflanze nur ein kleines Stück nimmst, wirst du auch satt und wir können alle weiterleben.“
Aber die Schnecke interessierte der Vorschlag nicht.
„Wiessso sssoll ich an den harten Grassshalmen nagen, wenn ich einen zzzarten Trieb bekommen kann? Ich werde dich jetzt esssen, basssta!“
In seiner Not schrie der kleine Apfelbaum aus Leibeskräften, für uns Menschen war es jedoch nur ein dünnes Rascheln seiner beiden Blätter. Inzwischen hatte die Schnecke den Trieb erreicht und wollte gerade herzhaft hineinbeißen, als es erneut im Gras raschelte. Nur dieses Mal war das Geräusch lauter und kam schnell näher.
Die Schnecke horchte auf, rief einmal kurz „Oh neiiiin“ und versuchte zu fliehen. Weit kam sie nicht. Ein Tier auf vier Pfötchen und mit Stacheln auf dem Rücken erreichte sie, bevor sie sich überhaupt richtig umdrehen konnte. Und hast du nicht gesehen wurde die gefräßige Schnecke selbst verspeist. Das große Tier schmatzte noch ein wenig und sagte dann zu dem kleinen Apfelbaum, der immer noch starr vor Schreck war.
„Na, da bin ich wohl noch gerade rechtzeitig gekommen! Übrigens bin ich Schnuffel, der Igel.“
„Du frisst Schnecken?“, fragte das Bäumchen.
„Ja, aber nur um den Hunger zu stillen“, erwiderte Schnuffel, kam etwas dichter an den Apfelbaum heran und flüsterte. „Aber im Vertrauen: Schnecken schmecken überhaupt nicht.“
Dem kleinen Trieb war die Freude anzumerken.
„Ich möchte mich bei dir herzlich bedanken. Da hatte ich ja noch einmal großen Glück, dass du gerade hier vorbei kamst!“
„Nun“, sagte der Igel. „Glück war das weniger. Der große Ahornbaum hat mir von deiner Not berichtet und mich gebeten, nach dem Rechten zu sehen. Doch jetzt muss ich wieder zu meiner Familie. Wir sehen uns bestimmt später noch einmal.“
Und mit diesen Worten verschwand er. Der kleine Apfelbaum blieb sprachlos zurück. Froh über seine Rettung und beschämt, weil er schon seit Tagen nicht mehr mit dem Ahorn redete. Vielleicht war dieser Baum doch eigentlich ganz nett?
„Na, kleiner Apfelbaum“,
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