Gute Nacht Jakob
auch der Kopf, der Schnabel wurde gähnend aufgesperrt, schlaftrunken taumelte das ganze Gebäude auf meinem Finger hin und her und ließ sich ohne Widerstand verstauen. »Gute Nacht, Jakob!« sagte ich, während ich ein Handtuch über das Bauer legte.
»Gunajapop...«, kam die schlaftrunkene Antwort.
Allmählich erkundete ich nicht nur das Körperliche, sondern auch den Charakter meines kleinen Freundes. Er bewies, wie ich schon erwähnte, ausgesprochenen Mut gegenüber Hund und Katze. Besonders darunter zu leiden hatte der Pekinese Fu, der im Kreise seiner Wirts-Familie >Schellfisch-Käse< genannt wurde, weil er — so behauptete die Familie — abwechselnd nach Schellfisch und nach Käse roch, manchmal auch nach beidem gleichzeitig, jedenfalls niemals gut. Wenn sich diese durch ihre eingedrückte Nase schnurchelnde Fellraupe mit dem hinten hereingesteckten Staubwedel als Schwanz über die Kieswege des Pensionsgartens quälte, versuchte Jakob mit allen Mitteln, sich ihr zu nähern. Saß er gerade unter der Drahtglocke, so ratterte er todsicher damit auf ihn zu. War er in Freiheit, so stellte er sich ihm in den Weg. Das erstemal hatte der Schellfischkäse versucht, sich Bahn zu brechen, aber ein krachender Schnabelhieb auf die Nase hatte ihn blindlings in die Flucht gejagt. Später machte er deshalb einfach kehrt, was ihn aber nicht davor bewahrte, daß Jakob ihm wie ein Adler auf den Rücken sprang und anfing, ihm die Haare auszureißen. Er nahm immer gerade so viel in den Schnabel, wie er ausrupfen konnte, und ließ sich nur mit größter Wut von seinem Opfer entfernen.
Dieser Mut, mit Bosheit verwoben, konnte aber ebenso rasch in rasende Angst Umschlägen, wenn er auf unerwarteten Widerstand stieß oder sonst etwas Unvermutetes geschah. So zum Beispiel, wenn jemand ein Tuch aus dem Fenster ausschüttelte oder ein an den Stuhl gelehnter Regenschirm umfiel, an dessen Zwinge er mit aller Kraft gehackt und gezerrt hatte, als hinge sein Leben davon ab. Dann wurde sein Hals lang und dünn, die Federn legten sich dicht an den Kopf, der ganze Vogel schien von unsichtbarer Hand in die Länge gezerrt zu werden, die gestutzten Schwungfedern hoben und senkten sich in jammervollen Flugversuchen, während die Augen die Umgebung absuchten und das kleine Herz wie ein Hammer schlug. Außerdem fiel sofort ein Klecks, gewissermaßen als Auspuff der inneren Spannung. Im Zimmer genügte ein ungewohntes Geräusch oder eine Bewegung, ein Fremder, der eintrat, um ihn in hühnerhafter Hysterie kreischend und gackernd gegen die Decke flattern zu lassen. Er hatte ein besonderes Geschick darin, seine Notlandungen in Geländestreifen zu legen, wo möglichst viel umfiel und zerbrach. Das wiederum war neuer Anlaß zu einem Segelflug, und die kreischende Angst schraubte sich immer höher, bis ich ihn schließlich zu fassen bekam und an meiner Brust barg. Am besten war es, wenn ich eine Jacke anhatte und ihn darunterstecken konnte. Dort, in der Dunkelheit und am Herzen seines Menschen, kam er schnell zur Ruhe, was mein Selbstgefühl und meine Zuneigung ins Ungemessene steigerte. Hier, in dieser kleinen Seele, war ich nicht mehr Objekt von Lehrern, Eltern und Schulkameraden, hier war ich Beschützer, Herr und Meister. Ein Wesen wenigstens verließ sich ganz auf mich.
Jakob hatte auch ausgesprochene Sympathien und Antipathien. Konnte er jemanden nicht leiden, so duckte er sich, daß Kopf, Rücken und Schwanz eine gerade Linie bildeten. Seine grauen Augen drehten sich nach vorn, was ihnen einen basiliskenhaften Ausdruck verlieh. In dieser Stellung schlich er sich gegen den Verhaßten an und schoß plötzlich zum Angriff vor. Es war weniger ein Schlag als ein stoßender Biß, und der ging durch bis ins rohe Fleisch.
Ebenso gradlinig drückte sich seine Sympathie aus, doch zeigte er sich dabei deutlicher Abstufungen fähig. Bei dieser Gelegenheit stellte ich mit Erstaunen fest, daß er auch ein geschickter Diplomat war. Ich war zum Beispiel sein Mensch, sein Beschützer, sein Transportmittel. Auf mir wurde mit der ganzen Achtlosigkeit gesicherter Liebe herumgetreten, am Haar geziept, der Kragenknopf mit gewaltigen Hieben behämmert, in die Hand gezwickt und Fäden aus der Jacke gerissen. Ganz anders jedoch waren seine Beziehungen zur Mama. Ihr gegenüber gab er sich absolut charmant. Er setzte sich zu ihr auf den Nähtisch, sortierte die Druckknöpfe, aber sehr artig, indem er sie nur leise durcheinanderschob und höchstens gelegentlich
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