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Gute Nacht Jakob

Gute Nacht Jakob

Titel: Gute Nacht Jakob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Bentz
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weniger freundlich zu Jakob...
    Die anderen aber erhielten ihm ihre Sympathie. Vor allem wetteiferten sie darin, ihm Sprachunterricht zu erteilen. Die Damen brachten ihm so blödsinnige Worte wie >Kakao< und >Danke schön< bei, während die Herren unter viel Gekicher und Protest der Damenwelt mit ihm in eine Ecke zogen und ihm dort weit weniger harmlose Redensarten einzutrichtern versuchten. Jakob hörte sich das alles mit schiefem Kopf an, hackte auf den Ringen herum, drehte Knöpfe ab, zog Nadeln aus den Schlipsen und Uhren aus den Brusttaschen und sprach auch manchmal ein Wort nach. Am besten gelang ihm »Armleuchter«, das ihm ein dicker Reisender in Unterwäsche beigebracht hatte.
    Während der ganzen drei Wochen, in denen man so seine Erziehung vervollkommnete, sein Schwänzchen wuchs und sich der gelbe Rand um den Schnabel verlor, korrespondierte die Mama mit den Großeltern. Was sich im einzelnen zwischen den höheren Instanzen abgespielt hat, weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß sie schließlich, kurz vor unserer Abfahrt, wieder einen Brief erhielt, zu mir in den Garten gerannt kam und mich umarmte: »Wir können ihn mitnehmen!«
    Ich starrte sie — mit Jakob auf der Hand — entgeistert an. Der Gedanke, daß ich ihn etwa hätte zurücklassen müssen, war mir auch nicht im Traum gekommen. Jetzt erst wurde mir der ganze Schrecken dieser Möglichkeit klar. Ich preßte meinen kleinen Freund an mich und zitterte. Die Mama kniete sich vor mich hin und umarmte mich nochmals: »Aber wir dürfen ihn doch mitnehmen, mein Junge, du brauchst doch nicht zu zittern!«
    »Mein Jaköble«, stammelte ich, »mein liebes, kleines Jaköble...«, und dann rannte ich mit ihm weg auf die Wiese. Dort studierte und bewunderte ich ihn zum hundertsten Male: den kräftigen Schnabel, auf dessen oberem Ende ein paar Federn lagen wie dicke Haare, das graue Brustgefieder, das immer etwas unordentlich um die Flügel herumstand, die Flügel selbst, die ich so gern zwischen meinen Fingern hielt und unter denen er richtig kitzlig war wie ein Mensch, die frechen Augen, über die er eine Haut ziehen konnte, die kleinen Federplättchen rechts und links am Kopf, unter denen seine Ohrlöcher lagen, die dünnen, gepanzerten Füße und die Krallen.
    Genauso studierte Jakob aber auch mich. Zunächst war mein Anzug sehr interessant, besonders die Hirschhornknöpfe an meiner kleinen Jägerjoppe. Dann der Inhalt meiner Jackentaschen. Er kroch mit dem ganzen Kopf hinein und holte Bindfäden, das Taschenmesser und die bunten Steine heraus, die ich gesammelt hatte. Sehr interessant war offenbar auch mein Kopf. Er fuhr mir mit dem Schnabel in den Mund, sperrte dann den Schnabel auf und konnte mir auf diese Weise in den Mund hineinsehen. Er hackte leise gegen meine Zähne, fuhr mir ganz vorsichtig mit dem Schnabel in die Nasenlöcher und in die Ohren, zerrte an meinen Haaren und kaute, wenn er zärtlicher Laune war, ganz behutsam mein Ohrläppchen durch. Von größtem Interesse waren auch meine Augen. Wenn ich ihn, auf meiner Hand sitzend, vor das Gesicht hob, drehte er auf die ulkigste Weise den Kopf bald vor das eine, bald vor das andere Auge. Dabei wurde er ganz dünn vor Aufregung und sehr gesprächig. Ich kam schließlich darauf, daß er sich in meinen Augen spiegelte und einen anderen Miniatur-Jakob sah.
    Als wir uns so gegenseitig genügend bewundert hatten, sprang er von meiner Hand herunter in die Wiese und watschelte gravitätisch darin herum. Er köpfte ein paar Blumen, drehte Steine um, bohrte den Schnabel in irgendwelche Löcher und pickte jetzt schon selbständig Käfer, Schmetterlinge und Raupen von den Halmen. Die Zeit verging, ein bunter, schöner Traum. Luftgewehr und Soldaten waren vergessen, es gab nur noch uns beide.
    Plötzlich war es Abend, Zeit zum Essen. Infolge des Schreckens konnte ich diesmal nicht viel hinunterbringen, aber ich war unsäglich glücklich. Er saß wieder auf meiner Stuhllehne, mit dem Tuschlappen dahinter auf der Erde und bekam von allem etwas ab. Schließlich wurde er müde, und das war etwas, worauf ich schon immer wartete. Erst riß er ein dutzendmal den großen Schnabel auf. Dann schob er immer häufiger eine bläuliche Haut vor seine Augen, und schließlich saß nur noch die kopflose Federkugel da, die auf einem dünnen Bein balancierte. Wenn es dann zum Schlafen ging und ich ihn aufwecken mußte, um ihn unter seine Drahtglocke zu tragen, kam erst eine glühheiße Kralle aus dem Daunengefieder, dann erschien

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