Gute Nacht Jakob
Ehe sie wieder umfiel! Ich sah mich nach Jakob um. Er hatte gerade die Quasten vom Sofa vor. Eine hatte er schon abgerissen. Es überlief mich kalt.
Gott sei Dank war die Mama so in ihren Briefschmerz vertieft, daß sie nichts gemerkt hatte. Ich steckte schnell die Quaste ein, nahm Jakob an die Brust und trabte in den Garten. Draußen war die Sonne ganz hell, der Himmel hoch, die Bäume drüben auf dem kleinen Felsen schienen mir freundlich zuzuwinken. Ich hatte die Schlacht um mein Jaköbchen gewonnen. Ich wußte es! Aber — puh — was für eine Schlacht! Was hatte man es schwer mit diesen Müttern!
Der erste, der mir begegnete, war Emil. Er hatte dicke Knie und seine Beine hatten keine Waden, sondern gingen in einem ‘runter wie Säulen. Der Po war direkt in die Hose gekrallt, außerdem hatte er einen Bauch, und seine Mutter rief den ganzen Tag hinter ihm her: »Beweg dich, Kind, geh in die Sonne!« Ein selten dämliches Aas, mit dem man buchstäblich nichts anfangen konnte. Selbst als Leiche bei den Indianerspielen war er nicht verwendbar; weil er nicht wie Franz im Feuer meiner Büchse malerisch zusammenbrach, sondern sich ächzend wie ein alter Mann hinlegte und hinterher maulte, weil seine Hose naß oder dreckig oder beides war. Er hatte vortretende Augen und knallrote Backen, richtige Apfelbacken, zum Hineinbeißen. Das einzig Nette an ihm.
Als er mich jetzt mit Jakob auf der Hand sah, blieb er mit offenem Mund wie angeleimt stehen.
»Wo hast ‘n den gefangen?« japste er schließlich.
Die Versuchung war groß, Jakob als die Beute einer dramatischen Expedition hinzustellen, aber ich bezwang mich und sagte: »Gekauft.«
»Issa zahm?«
»‘türlich. Willst ‘n mal nehmen? Halt ihm bloß die Hand vor ‘n Bauch... nich so, du Hammel, richtig vor ‘n Bauch! Dann steigt er über.«
Er hielt eine sehr ängstliche und rückzugsbereite Hand hin, die an den Fingern Fettwülste hatte wie bei einem Säugling. Jakob sprang sofort auf die Hand über, rannte den Ärmel hinauf und tat, auf der Schulter angelangt, etwas verblüffend Merkwürdiges: er kniff aus voller Lust mit dem Schnabel in die rote Apfelbacke.
Emil fielen fast die Augen aus dem Kopf, aber bevor er noch anfing zu brüllen, hatte er schon meine Hand vor dem Mund. Dann setzte ich Jakob schnell auf die Erde und hielt Emil wieder den Mund zu. Ich sah mich scheu um: Seine Mutter war Gott sei Dank nicht in Sicht. Auf keinen Fall durfte es Aufsehen geben, sonst schickte die Mama den Brief vielleicht doch nicht ab.
»Wenn du einen Laut ausstößt, hau ich dir eine hinter die Löffel, daß dir die Nase hinten sitzt, du Feigling!« flüsterte ich ihm zu. »Wenn de aber vernünftig bist, kannste ‘n ganzen Tag mein Gewehr haben, mit Kugeln!«
Das zum Heulen verzogene Gesicht vor mir renkte sich wieder ein. Vorsichtig nahm ich die Hand weg. Er wischte sich mit den Fingern die Nase, faßte an seine Backe: »Wo is ‘n das Gewehr?«
»Geb’ ich dir gleich nachher, Ehrenwort!«
Wir schüttelten uns die Hand, und er schob ab. Ich wischte mir seufzend die Stirn, dann schrak ich zusammen: Wo war Jakob? Da — zwischen den Stachelbeeren — aber mein Schrecken! Dort saß nämlich die schwarzgelbe Katze und betrachtete ihn aus der Deckung des Strauches mit einem unheilvoll nachdenklichen Ausdruck. Offensichtlich überlegte sie, ob diese Figur unter den Begriff der ihr verbotenen Hühner oder der ihr erlaubten Stare falle. Jakob hingegen in seiner kindlichen Unerfahrenheit sah nur den Schwanz der Katze, der sich in lustvoller Erregung um den Stamm des Strauches wand. Er hielt ihn offenbar für eine Art Wurm, ohne zu ahnen, daß ein Ungeheuer daran hing. Ich blieb erstarrt stehen. Wenn ich auf die Katze zulief, packte sie ihn vielleicht noch schnell und entfloh mit ihm, um ihn in einem Versteck zu zerreißen!
Da löste Jakob das Problem. Nachdem er den Katzenschwanz eine Weile mit schiefem Kopf betrachtet hatte, holte er aus und schlug mit voller Kraft zu. Mieze schrie auf, fauchte und sauste dann stiebend aus dem Strauch, die Regenrinne hoch, aufs Dach. Dort blieb sie sitzen, machte einen Buckel und zeigte das Gebiß.
Jakob saß verdattert da, wurde vor Angst ganz dünn und flatterte schließlich auf mich zu. Er sprang mir auf den Arm, turnte auf die Schulter und drückte sich an mich. Ich holte ihn herunter, küßte ihn auf den Kopf und die festen Schultern: Mein Jakob war ein Held! Das mußte ich der Mama erzählen!
Ich rannte mit Jakob an meiner Brust
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