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Gute Nacht Jakob

Gute Nacht Jakob

Titel: Gute Nacht Jakob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Bentz
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verschluckte. Er bewunderte den Mechanismus der Stickschere und plauderte im übrigen wie ein kleiner Kavalier. Ungefähr: »Tschack-tschack, Kakao — buuhh — Hansemännchen —«, und (besonders deutlich) »Armleuchter!«
    Die Mama ließ dann die ewig fleißigen Hände sinken, strich ihm über das Köpfchen, das sich gehorsam sträubte, seufzte: »Na, Jaköbchen, was werden bloß Omama und Opapa zu dir sagen, du geliebter kleiner, schwarzer Teufel, du!«
    Er drängte den gesträubten Kopf gegen ihre Finger, klapperte zärtlich mit den Augen und legte ihr auch wohl als Beweis seiner Zuneigung ein Stück Regenwurm oder einen halbverdauten Heuhupfer an einem langen Spuckefaden in die Hand. Er holte diese Kostbarkeiten mit einer kurzen Würgebewegung aus seinem Tresor, dem Kropf, in dem er all jenes Eßbare aufbewahrte, was er beim besten Willen nicht mehr hinunterschlucken konnte.
    Die Ferien verflogen fast unbemerkt, und es ist bezeichnend, daß ich mich außer an Jakob an kaum etwas aus diesen Wochen erinnern kann. Sonst führte ich dicke Tagebücher, in denen alle Ereignisse gewissenhaft vermerkt wurden und vor allem die genauen Pläne der Ritterburgen und Wigwams, mit denen ich das umliegende Terrain zu >sichern< pflegte. Kam die Zeit zur Abreise, so gab es ein langes Abschiednehmen von all diesen Plätzen mit einsamen Männertränen zwischen Bäumen und auf Felskuppen. Die Pflichten der Schule stiegen wie Zuchthausmauern vor mir auf. Unerträglich, wieder in einem verglasten Steinwürfel mit einem Haufen unbarmherziger Mitschüler und dem scheußlichen Kerl hinter dem gelbgestrichenen Katheder eingesperrt zu sein und jenen trockenen Bildungsstaub herunterwürgen zu müssen, der uns angeblich >für das Lebern eingetrichtert wurde.
    Diesmal nichts von alledem. Es beherrschte mich nur die eine Sorge, nämlich, wie ich Jakob so angenehm wie möglich nach Hause bringen könnte.
    Die Chancen dafür sahen wenig rosig aus, denn es stand dafür nur etwas zur Verfügung, was die Mama schonend >Transportkäfig< nannte, ein winziges Ding von Holzbauer, das sie in einer Andenkenbude erstanden hatte und das höchstens einer Zaunkönig-Frühgeburt imponiert hätte. Jakob ging im wahrsten Sinne des Wortes nur mit Ach und Krach hinein, obwohl er vor Angst ganz dünn war. Drinnen konnte er sich nicht umdrehen. Auf der einen Seite guckte der Schwanz, auf der anderen der Schnabel durch die Gitterstäbe. »Es ist ja nur für ein paar Stunden!« tröstete die Mama. Ich heulte.
    Schließlich saßen wir im Abteil. Jakob kam oben ins Gepäcknetz. Zunächst war er vor lauter Widerstand und Angst so erschöpft, daß er in dem Käfig förmlich hing. Die Flügel waren jämmerlich zur Seite gespreizt, so daß die gestutzten, ruppigen Schwungfedern herausstachen, der Hals hing ihm nach vorn, der aufgerissene, erschöpft japsende Schnabel stak durch die Stäbe der vorderen Schmalseite.
    Oben auf dem Bauer stand Mamas Hutkarton, und davor, das Sichtfeld noch einengend, lagen Schirm, Stock und Luftgewehr in einer braunen Segeltuchhülle.
    Ich hatte mich geweigert, mich hinzusetzen, und stand vor der Mama zwischen den Knien der Reisenden, den Hals zu meinem Liebling emporgehoben. Nur seinen offenen Schnabel konnte ich sehen, der über das alberne Segeltuch ragte. Ich haßte es.
    Dann fuhr der Zug an, und in diesem Augenblick wurde Jakob wieder lebendig. Ich hörte seine Krallen auf dem Holz kratzen und malte mir aus, wie es dem armen Wesen zumute sein mußte: Nach all der Freiheit und Verwöhnung jetzt in diesem winzigen Stall eingesperrt, von Gepäck verschüttet, und nun kam dieser ganze Alptraum auch noch ins Rollen!
    »Setz dich doch, Jungchen!« sagte eine dicke Frau hinter mir.
    »Komm, setz dich!« sagte die Mama. Ich rutschte neben sie: »Können wir ihn nicht ‘rausholen? Ich halte ihn auf den Knien!«
    »Jetzt nicht — und sei endlich ruhig. Du machst mich ganz verrückt.« In diesem Augenblick begann Jakob erst leise, dann immer lauter zu schimpfen.
    »Was ist denn das dort oben?« fragte ein Herr mit gestreifter Hose, Schnurrbart und flachem Strohhut. Er hätte ein Zwillingsbruder jenes Kerls sein können, der auf der Hinfahrt der Mama schöne Augen gemacht hatte, und auch dieser unterließ das nicht. Ich bekam natürlich sofort wieder Angst, starrte wie hypnotisiert auf seine prallen Schenkel in der gestreiften Hose und überlegte mir mit meiner ewig auf dem Sprung liegenden Phantasie, wie es wohl wäre, wenn er mich in seiner

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