Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gute Nacht Jakob

Gute Nacht Jakob

Titel: Gute Nacht Jakob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Bentz
Vom Netzwerk:
du noch angezogen bist, komm nach vorn, Tante Lola möchte Jakob sehen.«
    Ich raffte mich auf, und gleich wurde mir wieder etwas übel, aber ich bekämpfte es mannhaft. Dann sah ich mich nach Jakob um. Er schlief noch immer. Vor ihm, jetzt zusammengerollt und mehr als je einem Reh ähnlich — Max.
    »Jakob ist müde, und mir ist übel!« erklärte ich der Mama.
    »Das macht nichts«, erwiderte sie eisern, »mußt du gleich mal heraus?«
    »Nein, so schlimm ist es noch nicht.«
    »Dann nimm Jakob und komm.«
    Vorn war die Esserei zu Ende. Man reichte Sekt und Mokka. Das Vierzig-Personen-Gewimmel hatte sich überall in angeregte Grüppchen aufgelöst. Im Arbeitszimmer spielte der Phonograph unter Gelächter >Beim Zahnarzt<, und hinten spielte Onkel Ferdl Klavier. Tante Emmy sang dazu mit Onkel Paul als einzigem Zuhörer. In der Bibliothek war Onkel Fritz wieder mit Tante Frieda beschäftigt, während in einer anderen Ecke ihr Mann, Onkel Ludwig, den Geheimrat von Schlieven über die neue Heeresvorlage zu interviewen versuchte. Im Salon hörte ich Onkel Leo und Onkel Busch über Goldpfandbriefe und erste Hypotheken plaudern, und in der anderen Ecke saß Tante Lola, umzingelt von Opapa und Omama, vor dem Phonographen. Alle waren ziemlich rot im Gesicht, sprachen sehr laut und machten große Bewegungen.
    Ich durchschritt das Gewimmel mit Jakob auf der Hand, der einen dünnen Hals machte. Einen Moment überlegte ich, was er, das Tier des Waldes und der Felsen, wohl zu dieser funkelnden, fremden, künstlichen Welt sagen mochte.
    »Hansemännchen...«, sagte er zunächst ziemlich kläglich und drängte sich an mich.
    Es erlosch auch, als ich mit Jakob schlaftrunken durch die Räume wackelte, für einen Moment ringsum das Gespräch. Die Menschen wandten sich voneinander und uns zu. Die Spannung und die Künstlichkeit zwischen ihnen hörten auf, und sie zeigten für einen Augenblick ihre wahren Gesichter. Die waren ganz jung und eigentlich recht nett.
    »Ach, da ist ja das Vögelchen!« sagte Tante Lola mit ihrer Baßstimme. »Ein reizendes Vögelchen, kommt es auch zu mir?«
    Ich fand, daß sie wunderbar und direkt atemberaubend aussah. Nur störte es mich, daß man so viel von ihrem Busen sah. Sie streckte Jakob die beringte Hand hin. Er war sofort von zwei haselnußgroßen Brillanten fasziniert, die an Tante Lolas Fingern glitzerten, stieg über und begann an ihnen herumzuknabbern.
    »Na... sieh mal!« sagte sie begeistert und zog ihn zärtlich an den schon erwähnten Busen. Jakob pausierte mit den Brillanten und steckte den mit Kuchenkrümeln und Schlagsahne verzierten Schnabel ungeniert zwischen die Busenhälften. Offenbar dachte er, daß irgend etwas zum Essen darin versteckt sei.
    »Tschack-tschack-Kakao-Armleuchter!« erklärte er fachmännisch, als er wieder daraus auftauchte. Etwas Schlagsahne und ein Kuchenkrümel blieben an den Wölbungen haften.
    Tante Lola lachte dröhnend: »Nun, du kleiner Schäker — hat er das von dir, Max?«
    Opapa wurde rot und grinste. Omama lachte säuerlich, aber familiär verbindlich. Es schien alles in allem ein voller Erfolg. Onkel Fritz, der aus dem Hintergrund aufgetaucht war, wieherte und sagte: »Laß das nicht den Eiszapfen sehen, Lola!«
    Tante Lola drohte ihm mit der Hand und warf einen kurzen Blick zu ihrem Gemahl hinüber, der aber unentwegt in Goldpfandbriefen machte. Dabei kraulte sie Jakobs Kopf. Der sträubte die Federn, verdrehte die Augen und fühlte sich offenbar völlig zu Hause. Ich stand schläfrig da, den berühmten Lappen hinter dem Rücken, falls er etwas fallen ließe. Er tat es nicht, begann aber statt dessen an dem Smaragdarmband zu zerren, das Tante Lola am Handgelenk trug. Sie drehte das Innere der Hand nach oben, um ihm sein Spiel zu erleichtern: »Wirklich ein lieber kleiner Schelm«, sagte sie, und dann: »Was hat er denn — ist er krank?«
    Es war für Erklärungen schon zu spät. Jakob hatte unmißverständlich zu würgen begonnen, und während die Familie ringsum gefror, legte er Tante Lola eine wohlgelungene Gewöllewurst in die Hand, in der ich Borsten von Opapas Rasierpinsel und Splitter einer Hummerschere zu erkennen glaubte. Dann schüttelte er sich, ließ etwas fallen, was Gott sei Dank in der allgemeinen Bewegung unbemerkt auf Tante Lolas Schuh landete, und erklärte laut und feierlich: »Schulmeister!«
    Dann kam alles in Aufruhr. Ich nahm Jakob von der Hand der erstarrten Tante Lola, Opapa riß das Taschentuch heraus und angelte die

Weitere Kostenlose Bücher