Gute Nacht Jakob
von der Zeitung auf.
»Besonders du hast dich amüsiert, du hättest Lola gar nicht so gründlich...«
»Das war ich ja gar nicht, das war Fritz. Der hat...«
»Psst! Der Junge!« sagte die Mama.
»Wie?«
(Lauter): »Psst, der Junge!«
»Ach so...« Omama sah mich zum erstenmal richtig an, und mir stand das Herz still. Aber ihr Blick war freundlich: »Iß etwas Torte, mein Kind, und gib Jakob auch was... und hör nicht immer so zu!«
(Na, das ging ja. Aber vielleicht war es doch Verstellung?)
»Ich glaube, ihm ist noch etwas übel«, sagte die Mama, »er hat geweint, und den Vogel hatte er auch im Bett!«
Alle drei blickten mich forschend an. Jetzt war es soweit; ich schluckte, während mir die Tränen heiß in die Augen stiegen: »Das mit den Butterkugeln...«, begann ich, hörte aber sofort auf, denn die Mutter trat mich vors Schienbein. Ich war glücklich darüber, wenigstens sie war auf meiner Seite.
»Butterkugeln?« fragte Omama, und dann ging ein verständnisvolles Lächeln über ihr Gesicht: »Ja, mein Kind, du bekommst heute abend auch von den Butterkugeln, es sind noch genug übrig.«
Opapa schüttete eine Tasse schwarzen Kaffee hinter den Hering und die Gurke: »Busch hat mir, als er ging, auf die Schulter geklopft. Mein lieber Freund, hat er gesagt, es war wirklich ein entzückender Abend! Ihre Kusine... charmante Frau, große Dame!
Und ihr Gatte... Fülle von Ideen und sehr anregende Gesichtspunkte! Na, was sagst du dazu, Paulchen?«
Sie nahm die Brille ab und stieß energisch den Zwieback in ihren Tee: »Wenn dir der Kaffee nach dem Hering und der Gurke bekommt, hast du einen Magen wie ein Pferd! Ja, das mit Busch ist gut. Aber ich habe Frieda und Fritz ermahnen müssen, hast du das gesehen, gegen Morgen in der Ecke? Frieda, habe ich gesagt, ihr seid nicht im Séparée!«
»Psst! Der Junge!« sagte die Mama.
»Wie? — Ach so!«
Und allmählich merkte ich mit Erstaunen, daß Jakobs Sünden von diesen seltsamen Erwachsenen offenbar völlig vergessen waren, über lauter langweiligen Nebensächlichkeiten, die ich noch dazu gar nicht verstand. So begann ich denn aufzuatmen und konnte mich in den nächsten zwei Tagen einer der größten Jahresfreuden der Familie widmen, dem Reste-Essen. All die unverzehrten Köstlichkeiten des großen Abends tauchten in fragmentarischer Form noch einmal auf und konnten nun in Ruhe und bis zur schmerzhaften Überfüllung der Mägen genossen werden. Jakob bekam sein reiches Teil davon ab...
BRIEFMARKEN UND BRONCHITIS
Mit der Großen Gesellschaft hatte sich die Ereigniskraft des Winters gewissermaßen wie in einem Vulkanausbruch erschöpft. Die nächsten Wochen und Monate verliefen ohne größere äußere Vorkommnisse, abgesehen natürlich von dem üblichen, daß es nämlich kurz darauf anfing, ganz ernsthaft zu schneien. Nicht nur jenen kurzlebigen Großstadtschnee, der sich schon nach wenigen Stunden in Matsch verwandelt, sondern einen richtigen, soliden, festen, glitzernden Schnee, gefolgt von klirrender Kälte und den üblichen Lokalmeldungen, die von Verkehrsstockungen, von verschneiten Eisenbahnen, verstopften Straßenbahnweichen und gestürzten Pferden berichteten.
Während der ganzen Zeit mußte ich unentwegt zur Schule. Nicht die kleinste Mandelentzündung, kein gebrochenes Bein wollte sich einstellen, um diese Unglückssträhne zu unterbrechen. Der Kampf mit der lateinischen Grammatik wurde härter, auch der Lehrsatz des Pythagoras bekam mir gar nicht gut, und so hatte ich eigentlich wenig Zeit für mein eigentliches Leben, in dem das Jaköble die Hauptrolle spielte.
Zu Hause drehte sich das Rad des Lebens glatt und fast lautlos. Am Abend beschäftigten Opapa und ich uns jetzt sehr viel mit unseren Briefmarkensammlungen. Er hatte eine wunderbare Sammlung in sechs großen Bänden, Altdeutschland und England komplett, aber auch sonst noch aus der ganzen Welt Kostbarkeiten, wie die dreieckigen Marken vom Kap der Guten Hoffnung und sehr schöne Marken aus den englischen und französischen Kolonien.
Er hatte den dicken, rot eingebundenen Katalog von Senf neben sich liegen, in dem die Marken, die er besaß, rot angestrichen waren. Es gab kaum eine Seite im Katalog, auf der nicht viele rote Striche waren, und ich war stolz darauf.
Ich hatte, wie gesagt, auch eine Sammlung, aber sie war natürlich bei weitem nicht so kostbar und sauber und spielte sich in einem einzigen, ziemlich zerfledderten Album ab, dessen Seiten zahlreiche Löcher von eingeklebten
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