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Gute Nacht Jakob

Gute Nacht Jakob

Titel: Gute Nacht Jakob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Bentz
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und wieder herausgerissenen Marken aufwiesen. Zunächst hatte ich die Marken kurzerhand mit Leim angeklebt, dann aber begann ich, Opapa zu kopieren. Er heftete jede Marke an ein dünnes, gummiertes Blättchen, die er zu Hunderten bezog. Ich sehe ihn noch heute vor mir, wie er die Marken erst achtsam in Wasser abweichte, zwischen Löschblättern trocknete, dann vorsichtig mit der Pinzette ergriff, unter die Lupe hielt, nach dünnen Stellen suchte und die Zähne zählte. Nach mehrfacher Konsultierung des Katalogs holte er dann seine dicke, rote Zunge heraus, leckte das Blättchen an und befestigte die Marke daran. Es verging kein Abend, an dem Omama nicht sagte: »Leck nicht an dem Zeug, Max, es wird aus toten Hunden gemacht. Und alten Knochen! Wozu hast du das Wasser vor dir?«
    »Im Verein lecken sie alle!« erklärte Opapa lakonisch und leckte weiter.
    Ich leckte nicht, denn ich war zu geizig, mir die Gummiblättchen zu kaufen, schnitt sie selber aus alten Schulheften und bestrich sie mit Leim. Als Vertreter einer neuen Generation zeigte ich dabei Ansätze zur Fließbandfabrikation, indem ich immer gleich ein halbes Dutzend solcher Blätter knickte, mit Leim bestrich und aufstellte, so daß sie aussahen wie kleine Zelte. Jakob saß während dieser feierlichen Vorgänge meist auf meiner Stuhllehne und schlief. Wir behielten ihn dabei im Augenwinkel, denn er hatte zwei- oder dreimal versucht, auf den Tisch zu springen und sich an der Philatelie zu beteiligen.
    Eines Abends, als wir wieder dabei waren, klingelte es, und Valeska meldete: »Herr Geheimrat von Schlieven!«
    »Ach, um Gottes willen, der alte Esel!« sagte Opapa, worauf die Frauen mit einem durchdringenden »Psst! Psst!« über ihn herfielen und ihn zum Schweigen brachten. Der Geheimrat wankte herein, küßte den Damen galant die Hand: »Ich hoffe, ich inkommodiere Sie nicht zu sehr!« sagte er und blickte Omama mit großen bettelnden braunen Augen an, deren trauriger Ausdruck noch durch den stets etwas feuchten Schnauzbart verstärkt wurde. Alles in allem, fand ich, sah er aus wie ein verhungernder Seehund.
    »Aber im Gegenteil, Herr Geheimrat«, erwiderte die Omama, »Sie machen uns und vor allem meinem Mann immer eine Freude, nicht wahr, Max?« Und dabei sollte sie gewaltig mit den Augen. Sie dirigierte die Familie überhaupt durch Augenrollen, wobei sie in der Vorstellung lebte, daß das niemand außer der Familie merke.
    Der Geheimrat reichte Opapa eine schlaffe Hand zum Gruß. Das war etwas, worüber sich Opapa immer am meisten ärgerte:
    »Keine Art, Leuten die Hand zu geben!« sagte er. »So’n schlabbriges Ding... was soll man denn damit anfangen?«
    Er pflegte diese Eigenart dadurch zu parieren, daß er Schlieven eine noch latschigere Hand gab, und so lagen denn die beiden alten Männerhände für einen Augenblick welk und ohne Druck ineinander.
    »Nehm’n Sie sich ‘ne Zigarre«, sagte Opapa brummig. Sogar sein gesträubter Schnurrbart schien dem anderen zu verstehen zu geben, daß er sich auf das unangenehmste gestört fühle.
    Der Geheimrat jedoch, auf der Flucht vor der Einsamkeit seiner kalten Winterwohnung und wie immer in den ersten Minuten eines Besuches völlig verwirrt und verlegen, nahm die Ablehnung gar nicht wahr.
    Außerdem ging sehr viel mit ihm vor. Die Omama hatte ihm einen Likör hingestellt, den er gierig austrank, sich natürlich prompt daran verschluckte und schrecklich zu husten begann. Dabei ließ er einen seiner Handschuhe fallen, die er während der ganzen Zeit krampfhaft in der Linken festgehalten hatte. Der Handschuh war alt und schon sehr abgetragen und lag rücklings auf dem Teppich, wobei der leere Daumen gespenstisch in die Höhe stand, so daß man sah, daß die eine Ledernaht aufgeplatzt war.
    In diesem Augenblick kam Jakob angehüpft. Während der Begrüßungszeremonie war er von der Stuhllehne geflogen und hatte das Strickknäuel der Mama gestohlen, indem er es einfach auf den Schnabel spießte und damit abmarschierte, einen langen Faden hinter sich herziehend. Er kam jetzt, immer noch mit dem Knäuel um den Schnabel, um zu sehen, was los sei. Dabei verhedderte er sich in dem Faden, schleuderte das Knäuel weg und zerriß mit einem wütenden Krächzer die Fessel, die um seine Beine lag.
    »Mein Knäuel!« sagte die Mama. »Du Untier, du kleines, und den Faden zerrissen!« Während sie die Trümmer aufklaubte, holte sich Jakob den Handschuh des Geheimrats, flog damit auf die Stuhllehne und begann ihn auf seine

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