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Gute Nacht, mein Geliebter

Titel: Gute Nacht, mein Geliebter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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gerade dadurch zu trösten, versuchte, nicht aufdringlich zu wirken, nicht mit zu vielen Ratschlägen zu kommen.
    Das erste Jahr löste er das Problem mit Haushaltshilfen, die sich um das Haus und das Kind kümmern sollten. Manchmal sprach er davon, das Haus zu verkaufen, aber seine Frau lag auf dem Friedhof von Hässelby begraben, und mehrmals in der Woche ging er dorthin.
    »Glaubst du, sie würde wollen, dass ich es verkaufe?«, wollte er von ihr wissen. »Sie hat dieses Haus so sehr gemocht, ihr zuliebe haben wir es gekauft.«
    Er hatte Probleme, seine Haushaltshilfen zu halten. Vielleicht war es zu einsam dort unten am Seeufer? Vielleicht fühlten sie sich isoliert?
    Dass es an dem Mädchen liegen könnte, dieser Gedanke kam seinem armen, verstörten Gehirn nie.

5. KAPITEL
    Die Bäume lösten sich aus dem Nebel, wurden schwarz, bekamen Kontur. Es war Morgen. Justine hatte die ganze Nacht in einem Sessel sitzend geschlafen, sie war durstig und zwischen den Schulterblättern völlig verspannt. Auf die gleiche Art wie dort, und doch wieder ganz anders. Dort: Sie konnte sich noch gut an die Erleichterung erinnern, die sie empfunden hatte, als sie endlich die Konturen erahnen konnte. Die kompakte tropische Dunkelheit hatte begonnen, sich zu bewegen, war auf dem Rückzug. Sie lag mit weit aufgerissenen Augen da und beobachtete, wie alles Schritt für Schritt wiederkehrte, die Stämme, die Blätter, wie sie in den Tag hineinwuchsen und Form annahmen. Erleichterung breitete sich in ihr aus, ihre Glieder entspannten sich. Sie hatte die ganze Nacht wach gelegen. Jetzt sank sie in einen kurzen Schlaf, während die anderen schon langsam begannen, sich in ihren Schlafsäcken zu räkeln.
     
    Justine ging die Treppe hinab, hielt sich am Geländer fest wie eine müde und gealterte Frau. Ja, wie sich Flora zwischen den Etagen auf und ab geschleppt hatte, bevor sie ins Heim kam. Freiwillig wäre sie nie gegangen. Aber nach dem Anfall hatte sie keine Kraft mehr.
    Unten lag die Küche im Dunkeln. Sie machte das Licht über dem Herd an und setzte einen Topf mit Wasser auf. Ihr Kleid war zerknittert, sie musste geschwitzt haben, während sie schlief. Sie hatte nicht gemerkt, dass die Nacht hereinbrach.
    War es so, wenn man starb?
    An die Wand gelehnt trank sie ihren Tee in langsamen Schlucken, spitzte ihre Ohren auf der Suche nach eventuellen Geräuschen. Empfand eine plötzliche Sehnsucht, ein Bedürfnis nach Worten, nach etwas anderem als dieser Stille. Sie rief den Vogel. Er saß vermutlich auf seinem Ast und schlief, den Kopf nach hinten gedreht und den Schnabel in die grauen Federn gebohrt. Er kam nicht, antwortete auch nicht, saß irgendwo in der Stille und erinnerte sich an seinen Ursprung.
    Das Haus war daraus gemauert: aus kühler und brütender Stille. Wie eine Isolierung. Sie saß in den Steinen, im Kellergemäuer, saß in den Wänden, nicht einmal der Sonnenglut eines Augusttages gelang es, das Helle, Lebendige hervorzulocken.
     
    Dort, im Dschungel. Dort existierte keine Stille. Überall lebte, kroch, pfiff und rieselte es, das Rascheln aus Laubschichten, in denen der Prozess endlos weiterging, ein knabberndes, dampfendes Vermodern, Millionen kleiner, schlemmender Kiefer, die niemals satt zu bekommen waren, die Schreie und das Rauschen des Regens, das Heulen einer Säge.
    Sie hatte Nathan gefragt.
    »Stehen die hier draußen im Dschungel mit einer Kreissäge. Ist es das, was man die Bedrohung der Regenwälder nennt?«
    Er antwortete nicht, zwang sie, sich zu wiederholen. Erst dann drehte er sich um, und seine Augen waren so verändert, wie sie es seit Kuala Lumpur waren, wo Martina zu ihrer Gruppe gestoßen war.
    Es war ein Insekt. Ein Insekt, das dieses ziehende Geräusch auslösen konnte, das ihr durch Mark und Bein ging und sie frieren ließ, obwohl es heiß war.
    Martina … Sie war im Grunde auch nicht viel mehr als ein Insekt gewesen. So musste sie das sehen. Auf Insekten setzt man seinen Absatz und zermatscht sie. Insekten wie sie, Martina, haben es nicht besser verdient. So musste sie es sehen, genau so.
     
    Sie selbst war wie das Haus, aus Stille gemacht und gemauert.
    So als bräuchten die Worte Zeit, um Form anzunehmen, um ihren Weg in ihr und aus ihr heraus zu finden.
    Es hatte dazu geführt, dass die Menschen die Geduld verloren.
    Niemand hatte Lust, auf Worte zu warten.
    Einige sahen es als ein Zeichen von Schüchternheit, andere als ein Zeichen von Überheblichkeit. Genau dieses Wort, überheblich,

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