Gute Nacht, mein Geliebter
durch die Gegend, bis sie die Abfahrt Richtung Nacka entdeckte. Mit großen Bleistiftstrichen hatte sie sich eine Karte gezeichnet. Sie lag neben ihr auf dem Vordersitz, und ihr war es zu verdanken, dass sie schließlich den richtigen Weg fand.
Das Haus sah gepflegt und freundlich aus wie alle Häuser hier. Sie parkte am Zaun und klingelte. Einen Augenblick später kam ein Mann zur Tür und öffnete ihr. Am Telefon hatte sie mit einer Frau gesprochen. Der Mann war in ihrem Alter, das Gesicht streng und verschlossen.
Scheidung, dachte sie.
Er wusste sofort, wer sie war, und bat sie, einzutreten. Im Haus herrschte Chaos. Halb gepackte Kartons standen im Flur verteilt, etwas entfernt sah sie den Boden des Wohnzimmers. Er war mit verstreuten Büchern übersät, so als habe jemand in einem Wutanfall alles aus den Regalen gerissen, was sich in ihnen befand. Aus der Küche drang der Geruch von etwas Angebranntem.
Dort in der Küche saß auch der Vogel, in einem hohen und verschnörkelten Bauer. Er döste, ignorierte sie völlig.
»Oh«, sagte sie. »Ich hatte gedacht, es wäre ein Papagei.«
»Wie sind Sie denn darauf gekommen?«
»Papageien sind als Haustiere in der Regel etwas weiter verbreitet.«
»Ja, mag sein. Und jetzt haben Sie kein Interesse mehr?«
»Doch, doch. Die Art spielt eigentlich keine Rolle.«
Der Mann zog eine Glaskanne mit tiefschwarzem Kaffee vom Herd. »Verdammter Mist, den habe ich in der Eile völlig vergessen.«
»O je …«
Er warf ihr ein schiefes Grinsen zu. »Es ist alles ein bisschen viel im Moment.«
Sie sollte wohl etwas sagen, sich nach den Eigenheiten und Essgewohnheiten des Vogels erkundigen. Sie brachte es nicht fertig. Irgendetwas an diesem Vogel, an seiner struppigen, schwarzgrauen Gestalt brachte sie den Tränen nah. Als sähe sie sich selbst da drinnen, zusammengekauert, anderen zur Pflege überlassen.
Der Mann räusperte sich und zog einen Karton zur Seite. »Wir sind im Aufbruch begriffen«, sagte er.
»Ja … Ich verstehe.«
»Ja, so ist das. Nach vielen gemeinsamen Jahren ist man eines Tages nicht mehr Mitglied einer Familie. Man hat das immer selbstverständlich gefunden. Sie! Finden Sie niemals etwas selbstverständlich. Tun Sie das bloß nicht!«
»Das tue ich auch nicht.«
»Das tuen aber viele. Ich zum Beispiel, ich habe es getan. Bis jetzt.«
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Der Mann schwieg eine Weile, dann sagte er: »Wie gesagt, hier haben Sie den Vogel. Er hat viele Jahre mit uns zusammengelebt … Er ist ein Teil der Familie gewesen. Meine Frau fand ihn als Küken hier draußen im Garten. Er war wahrscheinlich aus dem Nest gefallen. Eine Katze hatte ihn gefangen, eine Katze, die ein Spielzeug haben wollte. Wissen Sie, was ich mit dieser Katze gemacht habe? Ich habe sie erschossen.«
»Sie haben die Katze erschossen …?«
»Mit einem Luftgewehr. Sie war sofort tot.«
»Ist das denn erlaubt?«
»Das ist mir scheißegal. Es war in meinem Garten, und in meinem Garten mache ich, was ich will.«
»Und der Vogel …?«
»Um den haben wir uns dann gekümmert und ihn aufgezogen. Aber jetzt sind wir, wie gesagt, unterwegs in verschiedene Richtungen, meine liebe Frau und ich. Und der Vogel braucht ein Zuhause.«
»Er sieht ein wenig, wie soll ich sagen, mitgenommen aus … Er ist doch gesund und so?«
»Ja, wissen Sie, Tiere bekommen mehr mit, als man glaubt. Er hat monatelang unsere Diskussionen mit angehört. Er trauert, er ahnt, dass die Stunde des Aufbruchs naht. Er hat meine Frau immer geliebt. Sie konnte es übrigens nicht ertragen, dabei zu sein, als Sie kamen.«
»Wird er sich bei mir wohl fühlen, was meinen Sie?«
»Ich denke schon. Er will bei jemandem sein, der ihn auch haben will. Das spürt er instinktiv, und diesem Menschen tut er auch nichts zu Leide.«
Seite an Seite betrachteten sie den Vogel, der mit einem glänzenden und starren Auge zurückglotzte. Der Mann schluckte, fuhr mit den Fingern über die Gitterstäbe.
»Einige Vogelarten leben in Paaren, sie sind einander treu bis in den Tod!«, platzte er heraus, und kleine Speicheltropfen glänzten auf seinem Kinn. »Die Aras in Brasilien zum Beispiel, bis in den Tod!«
Sie nickte vorsichtig.
»Na, was meinen Sie, wenn Sie ihn haben wollen, nehmen Sie ihn doch gleich mit. Ich halte das nicht länger aus … Außerdem muss ich weiter … packen.«
»Wie viel wollen Sie für ihn haben?«
»Nehmen Sie ihn einfach mit, er gehört Ihnen!«
»Aber in der Anzeige
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