Gute Nacht, mein Geliebter
jungen Oppositionellen, die auf die Barrikaden gingen. Zu jener Zeit hatte er Undergroundliteratur und gesellschaftskritische Romane verlegt. Damit hatte er inzwischen aufgehört. Die Zeiten hatten sich geändert.
»Dieses ständige Gerede«, sagte sie, verspürte aber doch ein Rumoren in der Magengegend.
»Du hast also nichts gehört?«
»Nein, du etwa …«
»Ach, ich weiß nicht … Nein, es ist bestimmt nichts dran.«
»Meinst du etwa, dass Bonniers kaufen will?«
»Ja.«
Berit pickte mit ihrer Gabel ein Maiskorn auf und stopfte es sich in den Mund.
»Solche Gerüchte sind irgendwie unangenehm«, sagte sie.
»Vielleicht geht es einem deshalb so schlecht. Man weiß, was man hat, oder so ähnlich. Ich werde mich dieses Wochenende den Teufel um den Job scheren, ich werde keinen einzigen Gedanken an ihn verschwenden! Stattdessen werde ich zusehen, dass ich viel draußen bin, einen langen Spaziergang machen, so werde ich den Samstag verbringen. Ich fahre raus nach Hässelby und sehe nach dem Grab, dann kann ich da draußen ein wenig spazieren und nostalgisch werden. Ich bin schon seit Ewigkeiten nicht mehr da gewesen.«
Auf dem Rückweg schaute sie noch schnell in ein Geschäft für extravagante Unterwäsche herein, das auf der Drottninggata lag. Sie probierte ein paar BHs an und entschied sich für einen glänzenden, roten Bügel-BH und einen dazu passenden Slip. Das grelle Licht in der Umkleidekabine ließ ihre Hüften und ihren Bauch schlaff und blass aussehen.
Mein Rumpf, dachte sie. Wie in einem Obduktionsbericht.
Sechshundertneunzig Kronen.
Aber was tut man nicht alles für sein Glück!
Sie hatte Heißhunger auf Schokolade und ging schnell, schnell vorbei an dem Geschäft mit den belgischen Leckereien. Dort hatte sie vor Weihnachten eingekauft, kleine, erlesene, von Hand gefertigte Schokoladenschnecken für die Freundinnen ihrer Söhne. Sie waren dünn wie Bohnenstangen, ein bisschen Fett konnte ihnen nicht schaden.
Die beiden waren ihr fremd. Sie glichen einander, eckig, blond, mit platten Brüsten. Die ganze Zeit hingen sie an den Jungen, fummelten an ihnen herum und winselten wie zwei verwöhnte kleine Kinder. So hätte sie sich einmal bei Tor zu Hause benehmen sollen! Seine Mutter hätte sie hinausgeworfen.
Helle und Marika. Helle war Dänin, weiß der Himmel, wie sie in Stockholm gelandet war. Berit hatte versucht, sich mit ihnen zu unterhalten, etwas über ihre Familien zu erfahren. Sie waren kurz angebunden und verschwiegen oder vielleicht auch nur schüchtern. Den Jungen zuliebe bewahrte sie gute Miene.
Mittlerweile regnete es stark, sie spannte ihren Regenschirm auf und richtete ihn wie einen Schild gegen den Wind. Als sie an dem russischen Restaurant vorbeikam, musste sie die Straßenseite wechseln. Das ganze Lokal wurde abgerissen, ein Bagger blockierte den Bürgersteig. Sie fragte sich, was jetzt wohl in das Haus kam. Sie war manchmal dort gewesen und hatte gegessen, deftige Eintöpfe und Pirogen. Es war gemütlich und warm gewesen, und wenn sie niedergeschlagen war, hatte sie dort gesessen und neue Kräfte gesammelt.
Der Aufzug zu den Büroräumen des Verlags war außer Betrieb. Sie ging die vier Stockwerke hoch, hinterließ mit ihrem Regenschirm eine nasse Spur, hängte ihren Mantel auf und ging zu ihrem Büro. Es war eigentümlich still überall, gab es etwa eine Besprechung, die sie vergessen hatte? Nein, Annie saß an ihrem Schreibtisch, sie ließ die Arme hängen und arbeitete nicht, saß einfach nur da mit einem ausdruckslosen und leblosen Ausdruck im Gesicht.
»Was ist los, Annie, ist etwas passiert?«
Annie gab ihr ein Zeichen:
»Komm rein!«
Dann stand sie auf und schloss die Tür.
»Jetzt, meine Liebe«, sagte sie dumpf. »Jetzt ist hier was im Gange!«
Berit lief ein Schauer über den Rücken.
»Was meinst du?«
»Curt läuft auf Hochtouren.«
»Aha. Inwiefern?«
»Er beruft eine Personalversammlung ein. Aber nicht heute, auch nicht morgen, sondern ausgerechnet am Montag.«
»Eine Personalversammlung?«
»Ja. Offensichtlich hat er uns etwas zu sagen.«
»Will er uns etwa entlassen?«
»Tja. Wer weiß!«
»Aber …? Wo ist er jetzt?«
»Abgehauen zu einer Versammlung, den Rest des Tages nicht da, morgen auch nicht.«
»Oh, Annie … Was sollen wir nur tun?«
»Tun! Wir können nichts anderes tun als warten. Den ganzen langen Freitag, das ganze lange Wochenende.«
»Warum musste er das denn heute schon erwähnen, konnte er nicht bis Montag
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