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Gute Nacht, mein Geliebter

Titel: Gute Nacht, mein Geliebter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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zurückkam, hatte Flora bereits bestellt, Limonade und einen Bienenstich.
    Sie selbst aß nichts, trank nur Kaffee aus einer sehr kleinen Tasse.
    Auf den Tischen lagen karierte Tischdecken. Der Raum war sehr verraucht. Am Nebentisch saß ein Kind in Justines Alter zusammen mit einer älteren Frau, die gerade ihr Taschentuch mit Speichel befeuchtete und dem Kind den Mund abwischte.
    »Oma!«, sagte das Mädchen, aber ohne sich zu wehren.
    Sie biss in ein Teilchen, und als niemand hinguckte, streckte sie Justine die Zunge raus, die voller Teigklümpchen war.
    Floras roter Nagel.
    »Jetzt iss schon, Justine! Iss!«
    An einem anderen Tisch, ein Mann mit einer Zeitung. Er schaute in ihre Richtung. Er lächelte Justine an und blinzelte ihr zu, sein Haar wie ein glänzend schwarzer Kuchen.
    Als Flora eine Zigarette aus der Packung schüttelte, war er unverzüglich zur Stelle und hielt ein Feuerzeug bereit.
    Sie beugte gnädig den Nacken.
    »Iss, Justine!«, wiederholte sie. »Du musst aufessen, ich warne dich, lass bloß nichts übrig, ich kaufe doch keine Teilchen, nur damit du die Hälfte liegen lässt.«
    »Kinder sind schon lustig«, sagte der Mann.
    Flora stieß Rauch aus. Ihre Lippen hinterließen rote Spuren auf der Zigarette.
    »Manchmal sind sie gar nicht lustig!«, sagte sie.
    Justine aß in kleinen, kleinen Bissen. Die obere Schicht hatte sie zuerst gegessen. Der Rest lag auf dem Teller wie ein fettiger und sahniger Brei.
    Sie dachte an das Tier. Sie würde heute nicht zu ihm gehen können.
    Der Mann hatte inzwischen seinen Stuhl ein wenig in Richtung ihres Tisches gezogen. Das Mädchen und seine Oma waren gegangen.
    »Kannst du singen?«, fragte der Mann und lächelte Justine wieder an. Seine Lippen waren trocken und schmal. Sein Schlips saß mit Hilfe eines dunkelgrünen Steins, dessen Farbe sich veränderte, sobald der Mann sich bewegte.
    Sie starrte ihren Löffel an. Der ganze Stiel war klebrig.
    »Alle Mädchen können singen«, fuhr der Mann fort.
    Flora begann zu kichern, sie klang wie ein Kind, babykleine, weiße Zähne.
    »Wenn du singst, bekommst du eine Krone«, sagte der Mann und legte seine Hand auf den Tisch, kurze schwarze Haare, die Nägel breit und flach. Er trommelte einen Moment lang mit den Fingerspitzen.
    »Kleine!«
    Floras Eisenklammer um ihren Kiefer, ihre Haut, die zusammengepresst wurde.
    »Jetzt zeig dem Onkel doch mal, dass du wirklich singen kannst!«
    Sie wand sich aus ihrem Griff.
    »Wie heißt sie?«
    »Justine.«
    »Komischer Name.«
    »Französisch.«
    »Dann versteht sie vielleicht gar nicht, was wir ihr sagen?«
    »Sie hat die Fähigkeit, einfach abzuschalten. Aber sie versteht natürlich alles. Und wenn sie nicht augenblicklich aufisst, dann weiß sie, was sie erwartet, wenn wir nach Hause kommen.«
    »Und was erwartet sie dann, junge Frau?«
    »Sie bekommt eine Tracht Prügel.«
    »Von Ihnen?«
    »Von mir, ja!«
    »Dann sind Sie also eine ganz Strenge, junge Frau?«
    »Das bin ich, ja!«
    »Sind Sie vielleicht auch von da?«
    »Wie bitte?«
    »Sind Sie selbst auch Französin?«
    Flora kicherte wieder. Sie sagte einen Namen, es klang wie Bertil. Inzwischen hatte der Mann seinen Stuhl zwischen Floras und Justines geklemmt. Er saß jetzt so nah, dass Justine sein Rasierwasser riechen konnte. Es war stark, stärker als Parfüm, ihre Nase begann zu jucken und zu laufen.
    »Schüstinn«, sagte er.
    Sie wagte nicht, ihn anzusehen, schaute stattdessen auf ihren Teller hinab, das geflochtene Blattmuster, den Teig.
    »Isst du jetzt bald mal!«
    Floras Porzellanaugen, ihre Wimpern waren lang und in mehreren Schichten geschminkt. Jeden Morgen stand Flora im Badezimmer und bestrich sie mit Hilfe einer kurzen und kräftigen Bürste mit Farbe.
    »Ich … kann nicht mehr!«
    Die Worte kamen in Form eines Schreis, das hatte sie nicht gewollt, sie hatte flüstern wollen, aber der Schrei hatte sich einen Weg in ihr gebahnt und war aus ihr herausgeplatzt. Tränen brannten auf ihrer Hand, ihr Mund verharrte noch im Schrei, der in lauthalses Weinen überging.
    Flora schlug sie. Mitten in der Konditorei gab Flora ihr eine Ohrfeige. Das Weinen hörte auf, wurde schlagartig abgeschnitten.
    »Justine neigt zur Hysterie«, sagte Flora, und ihre Lippen waren rot und hatten auch auf der Kaffeetasse ihre Spuren hinterlassen.
    »Ihre französischen Nerven?«, sagte der Mann, einen Akzent nachahmend.
    Floras kurzes, neuerliches Lachen, dumpf und gurrend.
     
    Auf dem Heimweg nahmen sie ein Taxi, der

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