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Gute Nacht, mein Geliebter

Titel: Gute Nacht, mein Geliebter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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rief Flora, und sie standen unter dem Apfelbaum und hörten, wie sie in das goldene Horn blies.
    »Das ist weiß Gott nicht leicht, sie ist offensichtlich begabt. Hörst du? Ich werde dafür sorgen, dass sie Unterricht bekommt.«
    »Mädchen spielen doch nicht Trompete!«
    »Das ist ein Horn, Flora, ein altes Posthorn aus Luzern.«
    Weder ihm noch Flora gelang es, dem Horn Töne zu entlocken. Justine setzte nochmals an, ihre Lippen wurden taub.
    Papa gelang es, einen Haken über ihrem Bett festzuschrauben. So etwas konnte er nicht gut, er wurde stets gereizt, wenn er Schrauben anbringen und Nägel einschlagen musste. Aber jetzt hing das Horn an seinem roten Seidenband an der Wand.
    Die Sache mit dem Unterricht vergaß er wieder. Justine erinnerte ihn von Zeit zu Zeit daran, oh, sagte er jedes Mal, das habe ich ja völlig vergessen. Sie stand meistens unten am Ufer und blies das Horn. Sie sah sich selbst in Jacke und kurzem Faltenrock bei einer Parade. Die Straßen der Stadt waren abgesperrt. Justine ging voran, die anderen Musiker folgten ihr wie Ratten.

8. KAPITEL
    Wenn er nachts im Hotel gearbeitet hatte, schlief Hans Peter in der Regel vormittags bis halb elf. War nicht viel los, gelang es ihm manchmal auch, während der Nacht auf einer Pritsche hinter dem Vorhang der Portiersloge ein wenig zu schlummern. Er dachte oft, dass er so viel hatte. Viel Zeit.
    Seine Zeit verbrachte er damit, Sport zu treiben und zu lesen. Auf der Rückseite einer amerikanischen Literaturzeitschrift hatte er eine Liste der wichtigsten klassischen Werke der Weltliteratur gefunden, was ihn auf die Idee gebracht hatte, all diese Bücher zu lesen. Alles war dort vertreten, von der Ilias und der Odyssee bis hin zu Karl Marx’ »Das Kapital«. Das meiste konnte man nicht kaufen – nicht einmal antiquarisch – so dass er gezwungen war, die Stadtbücherei am Sveaväg zu besuchen, um dort nach den Büchern zu suchen. Gezwungen war wirklich das richtige Wort. Die Atmosphäre in dem großen, runden Lesesaal war oft eigenartig beklemmend, er konnte nicht begreifen, warum. Menschen, die sich täglich mit Büchern befassten, die täglich lesehungrigen Ausleihern begegneten, sollten sie nicht etwas positiver eingestellt sein, es gab doch auch nette Dinge? Jedes Mal, wenn er sein Buch und seinen Ausweis zur Registrierung abgab, war er verunsichert, so als bereite er den Frauen an der Ausleihe schon durch seine bloße Anwesenheit Probleme. Sie waren sogar unfreundlicher als das Personal in jenem Kaufhaus in Bukarest, das er einmal in den Achtzigern besucht hatte, vor Ceaucescus Sturz.
    Auch als er noch ein Junge war, hatte es Probleme beim Ausleihen gegeben. Er schaffte ganze Stapel Bücher herbei, aber die Bibliothekarin erklärte ihm, dass man jedes Mal höchstens drei Stück ausleihen dürfe. Und dann hielt sie die Bücher vor ihm hoch, Buch für Buch, willst du das lieber hier lassen, willst du das lieber hier lassen? Schließlich war er so verwirrt, dass er jahrelang nicht mehr hinging. Seine Mutter hatte die drei Bücher für ihn zurückgegeben.
    Im Moment las er »Don Juan« von Lord Byron in C.V. A. Strandbergs Übersetzung. Es war ein dickes und seltsam humoristisches Buch in Versen, er hatte es in einem Antiquariat gefunden. 1919 war es in Fritzes Buchverlag herausgegeben worden. Einem Ex libris auf dem Vorsatzblatt ließ sich entnehmen, dass es einmal einem Mann namens Axel Hedman gehört hatte.
    Solche Informationen konnten Hans Peters Neugierde wecken. Er begann unverzüglich mit Nachforschungen, und nach einer umfassenden Suche gelang es ihm herauszufinden, dass Axel Hedman ein alter Lateinlehrer war, der wenige Jahre, nachdem das Buch erschienen war, wegen Totschlags an seiner Haushälterin verurteilt worden war.
    Sie ist bestimmt mehr als nur seine Haushälterin gewesen, dachte Hans Peter. Die Frau war noch recht jung gewesen, wie er in einer Zeitung aus jener Zeit, die ein Foto der Toten veröffentlicht hatte, sehen konnte. Sie hatte volle, geschwungene Lippen und sah auf eine schwer beschreibbare Art sinnlich aus. Lehrer Hedman verteidigte sich, die Frau habe ihn ausgenutzt und versucht, seine Ersparnisse zu stehlen. Offensichtlich hatte das Gericht dem keine Bedeutung beigemessen.
    Vielleicht hatte Lehrer Hedman in seiner Zelle auf Långholmen gesessen und in ebendiesem Buch gelesen? Hans Peter selbst saß jetzt an der Rezeption, das Buch aufgeschlagen unter einer Zeitung, die er darüber legte, sobald jemand kam und seine Hilfe

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