Gute Nacht, Peggy Sue
Isabel fragte: »Soll ich nicht auf dich warten, Adam?«
»Bitte nicht«, wehrte er ab. »Ich weiß nicht, wie lange es dauert.«
»Das ist wirklich ziemlich unartig von dir, weißt du.«
»Ist nicht zu ändern. Gute Nacht allerseits. Ihr könnt euch jederzeit in meinem Weinkeller bedienen. Aber laßt mir noch ein paar Flaschen übrig, ja?« Er gab einem der Männer einen Klaps auf die Schulter, winkte allen zum Abschied zu, kehrte in die Halle zurück und machte die Tür hinter sich zu.
»Das wäre geschafft«, sagte er zu M. J. »Gehen wir.«
4
D ie Tür des Lifts zum Leichenschauhaus öffnete sich.
Auf ein neues,
dachte M. J.
Im Kellergeschoß schien an diesem Abend Ruhe zu herrschen. Die einzigen Geräusche drangen aus dem Radio im Zimmer des diensthabenden Wärters. Sie und Adam gingen durch die offene Tür. Der Wärter hatte die Beine auf den Tisch gelegt und blätterte in einer Pornozeitschrift.
»Hallo, Willi«, begrüßte ihn M. J.
»Hallo, Doc«, sagte er und grinste sie über das Titelbild hinweg an. »Nicht viel los hier heute nacht.«
»Sieht man.«
»Sie meinen das hier?« Er schwenkte das Magazin und lachte. »Mann, ich hab’s satt, mir immer nur tote Weiber anzusehen. Ich mag sie lebendig und sexy.«
»Wir gehen jetzt in den Kühlraum, okay?«
»Brauchen Sie Hilfe?«
»Nein. Bleiben Sie ruhig bei ihren Sexbomben.«
M. J. und Adam gingen unter der Neonbeleuchtung den Korridor entlang. Die Röhre, die am Vormittag noch geflackert hatte, hatte mittlerweile ihren Geist aufgegeben und warf einen viereckigen Schatten auf das Linoleum.
Sie betraten den Kühlraum. M. J. knipste das Licht an und blinzelte geblendet. Die Wand mit den Kühlfächern lag ihnen direkt gegenüber.
M. J. ging zu der Schublade mit der Aufschrift
Vargas, Xenia
und zog sie auf. Unter dem Leichentuch wirkte der Körper formlos wie ein Klumpen unbearbeiteter Ton. Sie sah fragend zu Adam auf.
Er nickte.
M. J. zog das Leichentuch zurück.
Die Leiche wirkte wie eine Schaufensterpuppe, unwirklich, wie aus Plastik. Adam warf einen prüfenden Blick auf Xenia Vargas, und alle Spannung schien mit einem einzigen Seufzer von ihm zu weichen.
»Sie kennen Sie nicht?« fragte M. J.
»Nein.« Er schluckte. »Ich habe sie nie zuvor gesehen.«
Sie legte das Leichentuch wieder über den leblosen Körper und schob die Schublade zu. Dann drehte sie sich um und sah ihn an. »Okay, Quantrell, Zeit, reinen Tisch zu machen. Nach wem genau suchen Sie eigentlich?«
Er zögerte. »Nach einer Frau.«
»Das ist mir nicht entgangen. Ich weiß auch, daß sie dunkelbraune Augen hat. Außerdem tippe ich auf eine Rothaarige oder eine Blondine. Und jetzt will ich den Namen wissen.«
»Maeve«, sagte er leise.
»Na, so langsam kommen wir der Sache näher. Maeve … und weiter?«
»Quantrell.«
Sie runzelte die Stirn. »Frau? Oder Schwester?«
»Tochter. Stieftochter vielmehr. Sie ist dreiundzwanzig. Und Sie haben recht. Sie ist blond. Dunkelbraune Augen. Einen Meter fünfundsiebzig groß. Wiegt siebenundfünzig Kilo. Zumindest war das so, als ich sie das letzte Mal gesehen habe.«
»Und wann war das?«
»Vor sechs Monaten.«
»Sie gilt als vermißt?«
Er zuckte mit den Schultern. »Vermißt. Untergetaucht. Nennen Sie es, wie Sie wollen. Sie verschwindet, wann immer ihr danach ist. Wann immer sie mit dem Leben nicht zurechtkommt. Ist ihre Art von Problembewältigung.«
»Der Bewältigung welcher Probleme?«
»Da gibt es viele. Schlechte Noten, Affären, der Tod ihrer Mutter, ihr lausiger Stiefvater.«
»Sie beide kommen also nicht klar?«
»Nein.« Er fuhr sich müde durchs Haar. »Ich bin mit ihr nicht fertig geworden. Ich dachte, ich könnte sie zurechtstutzen Sie wissen schon … eine feste Hand, gute altmodische Prinzipien wie Disziplin et cetera … Ich habe ihr sogar einen Job besorgt. Dachte, alles, was sie braucht, ist Verantwortung. Daß sie pünktlich erscheinen, ihre Arbeit richtig erledigen und für ihren Lebensunterhalt selbst bezahlen könnte.« Er schüttelte den Kopf. »Eines Tages ist sie zur Arbeit gekommen … mit zwei Stunden Verspätung und purpurrot gefärbten Haaren. Sie hat einen Krach mit ihrem Chef vom Zaun gebrochen, daß die Fetzen flogen. Dann hat sie einen Abgang gemacht.« Er atmete tief aus. »Man hat ihr daraufhin gekündigt.«
»Und das war das letzte Mal, daß sie gesehen wurde?«
»Nein. Ich bin danach noch mit ihr essen gewesen. Wollte die Sache bereinigen … ihr die Rückkehr nicht verbauen.
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