Gute Nacht: Thriller (German Edition)

die fast nur aus einem riesigen roten, weißen und blauen Logo bestand – RAM NEWS : DIE UNGESCHMINKTE WAHRHEIT –, folgte eine Seite mit den populärsten Angeboten des Senders. Schnell scrollte er auf der Suche nach den Waisen durch die Liste.
    GEHEIMNISSE UND LÜGEN : Was die Mainstream-Medien verschweigen.
    RICHTIGSTELLUNG : Wo die landläufige Meinung irrt.
    APOCALYPSE NOW : Der Kampf um die Seele Amerikas.
    Grimmig blätterte Gurney zur nächsten Seite, wo er ganz oben auf der Liste der Nachrichtenmagazine auf die Mordwaisen stieß. Unter dem Titel warb ein reißerischer Text für das Programm: »Was passiert mit den Hinterbliebenen, wenn ein Mörder eine Familie zerstört? Schockierend wahre Geschichten der Trauer und Wut. Erste Folge heute um 19.00 Uhr.«
    Zehn Minuten später, exakt um sieben, begann die Sendung.
    Der Bildschirm war fast ganz dunkel. Ein unheimlicher Käuzchenruf ließ darauf schließen, dass der Zuschauer eine nächtliche Landstraße vor sich hatte. Ein Mann trat aus der Dunkelheit in einen schmalen Streifen Licht, den die Scheinwerfer eines Autos auf einen grasbewachsenen Seitenstreifen warfen. Das schräg von unten kommende Licht zeichnete scharfe Schatten auf das Gesicht wie in einem Thriller.
    Mit langsamer, unheilvoller Stimme begann er zu sprechen. »Vor genau zehn Jahren, im Frühjahr 2000, begann das Grauen in den ländlichen Bergregionen des Staates New York auf einer einsamen Straße wie dieser, in einer Nacht ohne Mond, die noch erfüllt war von der Kälte des Winters. Bruno und Carmella Mellani befanden sich auf der Heimfahrt von einer Tauffeier in der Stadt zurück in ihr Landhaus und plauderten vielleicht gerade über die Ereignisse des Tages, die lieben Freunde und Verwandten, die sie lange nicht mehr gesehen hatten, als sich von hinten schnell ein anderes Auto näherte und in einer langen, dunklen Kurve zum Überholen ansetzte. Doch als der rasende Wagen Bruno und Carmella Mellani erreichte …«
    Auf dem Monitor erschien das schwach beleuchtete Innere eines fahrenden Autos bei Nacht, in dem vorn zwei nicht genauer erkennbare Personen saßen. Leise lachend unterhielten sie sich. Einige Sekunden später tauchten hinter ihnen Scheinwerfer auf. Sie wurden heller und größer und schwenkten nach links wie bei einem Überholmanöver. Dann zuckte plötzlich ein weißer Blitz über den Bildschirm, und gleichzeitig krachte laut ein Schuss. Das Geräusch schlitternder Reifen, kreischendes Bersten von Metall und das Splittern von Glas.
    Nun kam wieder der Sprecher ins Bild. Er beugte sich vor, hob ein verbogenes Teil auf und schwenkte es wie ein bedeutsames Beweisstück für das Verbrechen, das er schilderte. »Der Wagen der Mellanis schoss von der Straße. Er wurde so zerquetscht, dass die Rettungskräfte kaum die Marke und das Modell erkennen konnten. Ein Drittel von Bruno Mellanis Schädel wurde von der Kugel aus einer riesigen Handfeuerwaffe weggerissen. Carmella Mellani fiel aufgrund ihrer Verletzungen ins Koma, aus dem sie bis heute nicht erwacht ist.«
    Den Blick auf den Bildschirm gerichtet, verzog Madeleine angewidert das Gesicht. Offenbar fand sie die Berichterstattung von RAM verstörender als das dargestellte Ereignis.
    Dann lieferte der Sprecher eine dramatische Beschreibung der anderen Morde des Guten Hirten. Den Höhepunkt bildete eine detaillierte Schilderung des Fiaskos um Harold Blum, das Max Clinter um seine Karriere und Ehe gebracht hatte.
    »Mein Gott«, flüsterte Madeleine, »die kennen wirklich keine Grenzen.«
    Gurney nickte.
    Die Kamera zoomte auf halbe Distanz zum Sprecher/Moderator, der nun zusammen mit zwei Männern in einem Senderaum saß. »Zehn Jahre ist das jetzt her«, erklärte er. »Zehn Jahre, und doch erscheint es manchen von uns wie gestern. Sie fragen vielleicht, warum wir dieses grausige Thema jetzt wieder aufgreifen. Die Antwort ist einfach: Die Ereignisse jähren sich zum zehnten Mal, und das ist immer ein geeigneter Moment für einen Rückblick auf Triumphe und Tragödien.«
    Der Moderator wandte sich an einen Mann mit dunkler Gesichtsfarbe, der ihm gegenübersaß. »Dr. Mirkilee, Ihr Fachgebiet ist forensische Psycholinguistik. Könnten Sie unseren Zuschauern diesen Begriff erläutern?«
    »Selbstverständlich. Ich erkläre das Denken aus den Worten.« Er sprach leise, schnell, genau, sehr indisch. Am unteren Bildschirmrand erschien ein Schriftzug: DR . SAMMARKAN MIRKILEE .
    »Das Denken?«
    »Die Persönlichkeit, die Gefühle, den