Gute Nacht: Thriller (German Edition)
»Darauf werde ich gleich noch näher eingehen, doch zuerst möchte ich Ihnen eine Frage stellen.«
Er beugte sich in ihre Richtung und senkte in gespielter Vertraulichkeit die Stimme. »Stimmt es, dass Sie für diese Dokumentarreihe einen hochdekorierten Mordermittler eingeschaltet haben? Dave Gurney, den Mann, den die Zeitschrift New York einmal als ›Supercop‹ bezeichnet hat?«
Als wäre ein Schuss gefallen, war Gurney mit einem Mal hellwach. Eindringlich starrte er auf Kims Gesicht. Sie wirkte erschrocken.
»In gewisser Weise«, antwortete sie schließlich. »Ich meine, er hat mich zu einigen Fragen im Zusammenhang mit dem Fall beraten.«
» Fragen? Können Sie uns da vielleicht Einzelheiten verraten?«
Kims Zögern überzeugte Gurney davon, dass sie wirklich überrumpelt worden war. »In letzter Zeit sind ein paar merkwürdige Dinge passiert, zu denen ich mich im Augenblick noch nicht äußern möchte. Jedenfalls sieht es so aus, als wollte jemand verhindern, dass die Mordwaisen ausgestrahlt werden.«
Der Moderator mimte tiefe Besorgnis. »Fahren Sie fort.«
»Na ja … Was da passiert ist, könnte man als Warnung deuten. Als Aufforderung, einen Bogen um den Fall des Guten Hirten zu machen.«
»Und hat Ihr beratender Detective irgendwelche Theorien?«
»Anscheinend vertritt er in dem Fall eine Auffassung, die nicht mit den bisherigen Erkenntnissen übereinstimmt.«
Der Moderator wirkte fasziniert. »Heißt das, Ihr Polizeiexperte denkt, dass das FBI seit Jahren auf der falschen Spur ist?«
»Das müssen Sie ihn selber fragen. Ich habe schon zu viel gesagt.«
Verdammt richtig , dachte Gurney.
»Wenn es um die Wahrheit geht, Kim, dann ist nichts zu viel! Vielleicht muss ich da bei Detective Gurney persönlich nachhaken – rechtzeitig zur neuen Folge der Mordwaisen nächste Woche. Fürs Erste möchte ich unsere Zuschauer einladen, sich zu äußern. Teilen Sie uns mit, was Sie denken. Gehen Sie auf unsere Website und sagen Sie uns Ihre Meinung.«
In blitzenden roten und blauen Lettern erschien am unteren Bildrand die Webadresse RAM 4 NEWS . COM .
Wieder neigte sich der Moderator zu Kim. »Wir haben noch eine Minute. Könnten Sie das Wesentliche zum Fall des Guten Hirten in wenigen Worten zusammenfassen?«
»In wenigen Worten?«
»Genau. Das Wesentliche.«
Sie schloss die Augen. »Liebe. Verlust. Schmerz.«
Die Kamera zoomte ganz nah an den Moderator heran. »Also, liebe Zuschauer. Sie haben es gehört. Liebe, Verlust und schrecklicher Schmerz. Nächste Woche befassen wir uns mit einer Familie, aus deren Mitte der Gute Hirte ebenfalls einen lieben Menschen gerissen hat. Und denken Sie daran, es ist durchaus möglich, dass er immer noch irgendwo unter uns herumschleicht. Ein Mann …, dem … ein Menschenleben … nichts bedeutet. Bleiben Sie auf RAM News, um alles zu erfahren, was Sie wissen müssen. Seien Sie auf der Hut. Wir leben in einer gefährlichen Welt.«
Der Bildschirm wurde schwarz.
Gurney schloss den Browser und schaltete den Computer auf Stand-by. Dann lehnte er sich in seinen Sessel zurück.
Madeleine schaute ihn vorsichtig fragend an. »Was macht dir Sorgen?«
»Im Moment? Bin mir nicht sicher.« Er schloss die Augen und wartete darauf, dass ihm irgendwas Beunruhigendes einfiel. Erstaunlicherweise hatte sein erster Gedanke jedoch nichts mit der Sendung zu tun, die sie gerade gesehen hatten. »Was meinst du zu dieser Sache zwischen Kim und Kyle?«
»Anscheinend verstehen sie sich gut. Was gibt’s da zu meinen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht.«
»Was Kim da am Ende der Sendung über dich gesagt hat – über deine Zweifel am FBI -Ansatz –, bringt dich das in Schwierigkeiten?«
»Könnte sein, dass sich Agent Trout eine Gemeinheit einfallen lässt. Vielleicht fühlt er sich so auf die Zehen getreten, dass er mir mit irgendwelchen juristischen Scherereien kommt.«
»Kannst du da was unternehmen? Die Sache abbiegen?«
»Klar. Ich muss nur beweisen, dass sein Ansatz blanker Unsinn ist. Dann hat er größere Probleme am Hals als mich.«
31
Die Rückkehr des Hirten
Als Gurney am nächsten Morgen um halb acht aufwachte, regnete es. Ein leichter, regelmäßiger Regen, der stundenlang dauern konnte.
Wie üblich waren beide Fenster gekippt. Die Luft im Schlafzimmer war kalt und feucht. Offiziell lag der Sonnenaufgang zwar schon eine Stunde zurück, doch der schräge Himmelsausschnitt, den er aus seiner liegenden Position sehen konnte, hatte das freudlose Grau
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