Gute Nacht: Thriller (German Edition)
weitergeben konnte. Doch er hatte eine Frage an sie. »Wie war der Umschlag adressiert?«
»Das ist das Unheimlichste daran.« Ihre Stimme zitterte. »Auf dem äußeren Umschlag steht Kyles Anschrift, und auf einem zweiten Umschlag innen ist mein Name – das heißt, der Typ weiß, dass ich hier bin, bei Kyle. Wie kann er das rausgefunden haben?«
Als Meeses gehässige Telefonnachricht Madeleine am vergangenen Abend zu einer ähnlichen Frage veranlasste, hatte Gurney die Möglichkeit einer Beschattung abgestritten. Jetzt war er sich nicht mehr so sicher.
»Wie kann er das rausgefunden haben?« Kims Ton wurde schriller.
»Er muss gar nicht wissen, dass ihr beide dort seid. Vielleicht denkt er, dass Kyle dich erreichen und dir die Nachricht übergeben kann.« Schon während er die Worte aussprach, wurde ihm klar, dass sie nicht besonders sinnvoll waren und in erster Linie ihrer Beruhigung dienten.
Was allerdings nicht wie gewünscht zu funktionieren schien. »Expresszustellung bedeutet, er wollte, dass ich es heute Morgen kriege. Und er hat beide Namen draufgeschrieben. Also muss er wissen, dass wir beide hier sind! «
Ihre Logik war nicht unbedingt zwingend, doch Gurney hütete sich vor Diskussionen. Kurz überlegte er, das NYPD zu alarmieren, und wenn nur ein Uniformierter bei ihnen vorbeischaute und so eine Illusion von Schutz erzeugte. Aber das zu erwartende Hin und Her aus Missverständnissen und langen Erklärungen wog viel schwerer als der praktische Nutzen. Ganz nüchtern betrachtet gab es keine handfesten Beweise dafür, dass sie in Gefahr waren. Die New Yorker Polizei einzuschalten würde mit einem Streit beginnen und mit einem Riesendurcheinander enden.
»Ich sag euch jetzt, was ihr macht, Kim. Ihr bleibt im Apartment, beide. Sperrt die Tür ab. Öffnet niemandem. Nach meiner Besprechung melde ich mich wieder bei euch. Wenn es in der Zwischenzeit zu einer konkreten Bedrohung kommt – oder wenn noch eine weitere Mitteilung eintrifft – ruft ihr mich sofort an. Verstanden?«
»Verstanden.«
»Jetzt möchte ich dich was anderes fragen. Hast du Zugang zu der Aufzeichnung deines Interviews mit Jimi Brewster?«
»Ja, klar. Ich hab ein Kopie auf meinem iPod.«
»Und den hast du bei dir?«
»Ja.«
»In einem Format, das du mir mailen kannst?«
»Hängt davon ab, welche Dateigröße dein Server akzeptiert. Aber ich kann die Auflösung reduzieren, um das Dokument zu verkleinern, dann dürfte es eigentlich kein Problem geben.«
»Gut. Hauptsache ich erkenne noch, was ich vor mir habe.«
»Soll ich es dir gleich schicken?«
»Bitte.«
»Darf ich fragen, wozu?«
»Jimi Brewsters Name ist in einem anderen Zusammenhang aufgetaucht. Bei einer Unterhaltung mit Max Clinter. Ich möchte mir ein Bild davon machen, wer Brewster ist.«
Nach dem Telefonat bog Gurney auf den Parkplatz des Präsidiums der New York State Police. Er passierte eine Reihe Streifenwagen und stoppte neben einem funkelnden silbernen BMW 640i.
Für einen Beamten war ein fünfundachtzigtausend Dollar teures Hochglanzcoupé sicherlich eine zweifelhafte Wahl, aber für eine erfolgreiche Beraterin auf dem Weg nach oben kam es schon eher infrage. Bisher war er nicht auf die Idee gekommen, dass Rebecca Holdenfield an der Besprechung teilnehmen könnte, doch jetzt hätte er darauf gewettet. Es war genau ihre Art von Auto.
Er sah auf die Uhr. Fünf Minuten zu früh. Er konnte die Zeit nutzen, um Connie Clarke zurückzurufen, und hatte zugleich eine ehrliche Entschuldigung parat, um das Gespräch kurz zu halten – immer vorausgesetzt, sie nahm tatsächlich ab. Als er gerade die Nummer heraussuchte, schob sich ein schwarzer Crown Victoria der State Police neben ihn. Am Steuer saß Andy Clegg, neben ihm Lieutenant Bullard.
Bullard winkte Gurney und deutete einladend auf die Rückbank der Limousine. Er folgte der Aufforderung und nahm den Expressbrief mit.
Bullard schien sich ihre Worte genau überlegt zu haben. »Guten Morgen, Dave. Danke, dass Sie es so kurzfristig möglich gemacht haben. Bevor wir reingehen, möchte ich Ihnen noch kurz meine Position verdeutlichen. Wie Sie wissen, untersucht das örtliche BCI den Mord an Ruth Blum. Die Tat steht vielleicht mit dem zehn Jahre alten Fall des Guten Hirten in Zusammenhang, vielleicht auch nicht. Wir könnten es mit demselben Täter zu tun haben, mit einem Nachahmer oder mit einer bislang unbekannten dritten Alternative.«
Gurney konnte sich eine dritte Option nicht vorstellen, aber er
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